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Neues Feld für Psychologen

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Abkehr von der öden Gleichförmigkeit. Die Wiese wird zur Weltanschauung.

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Abkehr von der öden Gleichförmigkeit. Die Wiese wird zur Weltanschauung.

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Das Langhaar von Blumenkindern und sonstigen Zivilisationsskeptikern ist längst verblichen und „out". Die Nachzügler baumeln mit männlichen, Zöpflein durch die alternative Kulturszene. Mittlerweile hat uns eher punkeri-sches Kurzhaar das Fürchten gelehrt. 0 tempera mutantur!

Indessen sprießt die Haar- beziehungsweise Halmlänge unserer Wiesen. Gemeint sind nicht so sehr die sauren, die eine landwirtschaftliche Metapher des beliebtesten Bundespräsidenten unsterblich machten - und auch nicht die bäuerlichen, die in der EG noch üppiger, weil von keiner subventionierten Sense gemäht, wuchern werden

Die Rede ist vom unlandwirtschaftlichen und unwirtschaftliche/i Grün, welches in zwei Besitzkategorien zerfällt. Da ist erstens das soziale Grün, dessen Betreten wenn nicht verboten so zumindest unerwünscht ist. Und da ist zweitens das privat parzellierte Grün, welches Schlösser und Villen ausladend, Siedlungsund Reihenhäuser bemessen umgibt. Man spricht, wenn es sehr knapp ist, von „verdichteter" Bauweise. Gemeinsam ist dem sozialen und dem parzellierten Grün seine Pflegebedürftigkeit.

Die Heuernte besteht aus nutzloser Biomasse, die den Umsatz von Kompostern und Bio-Entsorgern belebt. Zur Erntearbeit bieten sich Basenmäher unterschiedlicher Typen an, die jene Energie verbrauchen, die der Betreiber einspart, wenn er seine Latifundien mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufsucht. Die ländliche Ruhe, die ihm einst aus der städtischen Grau-Agglomeration ins Grüne flüchten ließ, wird nun durch das Rasenmäher-Geknatter akzentuiert. Dennoch liebt mancher seinen Rasenmäher wie seine Harley-David-son.

Wer über bäuerliche Vorfahren oder Traditionen verfügt, versucht sich vielleicht im Sensenschwung. Jener preußische kurz- oder britische Golfschnitt, der allein der Inbegriff der Rasenkultur ist, wird freilich mit der Sense nicht erreicht. Allein ein Handwalzenmäher, der schweißtreiben zu schieben ist, verspricht Erfolg bei mäßigem Geräusch. Seit jedoch die Kunststoffindustrie den dauerhaften Rasenteppich, dessen grüner Filz alle Naturpflege übertrifft, in Verkehr gebracht hat, ist das Selbstbewußtsein aufreibender Rasenpflege empfindlich gestört. Überdies forderten die Grünen vom Grün die Abkehr von öder Einheitlichkeit. Blumen und Kräuter sollen sprießen wie im Auwald, Halme sollen sich wiegen im Sonnenwind, auf daß Bienen und Schmetterlinge wieder einkehren in menschlicher Nähe.

Kurzum: Langhalm-Wiese wird wieder modern! Auch wenn die fanatischen Rasenmäher die Nase rümpfen und ihre Motoren starten. Schon wogt in Gärten und auf Parzellen der grüne Wuchs. Die Wiese wird zur Weltanschauung.

Des Österreichers Kompromißfreude wird auch mit diesem Problem fertig. So wie auf manchem glattrasierten Punkerhaupt eine Insel üppigen Haarwuchses verbleibt, spart der fortschrittlich-kompromißfreudige Rasenmäher nun eine Art Naturschutzfläche im Golfrasen aus. Man beweist damit einerseits, daß man Mühe und Kosten des Mähens nicht scheut - und andererseits doch auch Blumen und Schmetterlinge im Reservat leben läßt.

Halbgrün ist „in". Fragt sich nur, wie die Hochwuchsfläche zu begrenzen und damit zu gestalten ist. Hier beginnt die Kunst der Lawn-Art. Da gibt es Kreise, Ovale, Quadrate, Rechtecke, Dreiedke, Rautengitter, Diagonalstreifen, Herzen, Brüste, Pfeile...

Ein neues Feld für Psychologen. Eine Chance für einschlägige Literatur. Sag mir, wie du deine Wiese mähst...

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