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Otto Köhler will Rudolf Augstein demontieren und demontiert auch gleich sich selbst. Enthüllungen in allzu geballter Ladung.

Wollen wir aufrechnen, ob mit Stichtag 8. Mai mehr Menschen befreit oder entmündigt worden sind?" Nicht Ewald Stadler, sondern Rudolf Augstein schrieb diese Un-säglichkeit 1985, noch vor dem Historikerstreit. Kann sich deswegen Stadler darauf berufen, in guter, unverdächtiger Gesellschaft zu sein?

Damit ist es wohl Essig, sobald wir das Buch "Rudolf Augstein - Ein Leben für Deutschland" von Otto Köhler aus der Hand gelegt haben - gelesen, wohlgemerkt. Köhler gelang eine vernichtende Beweisführung für etwas, was man wusste, aber nicht bis in die letzten Verästelungen: dass der Herausgeber des Spiegel lang vor Martin Walser vom "Vaterlandsvirus" befallen war, nämlich von Anfang an.

Doch wird man dieser Demontage nicht ganz froh. Das hat zwei Gründe. Erstens ist das ganze Buch von einem hämischen Ton durchzogen, voll mieser Untergriffe, womit der vor Urzeiten gekündigte Spiegel-Kolumnist Köhler seine Beteuerungen, persönliche Motive lägen ihm fern, Lügen straft.

Zweitens: Diese Biographie hat arge Lücken. Das Umfeld, in dem der Spiegel groß zu werden begann, wird sehr stiefmütterlich behandelt. Wenn Köhler dargestellt hätte, wie nazistisch das Klima damals in Westdeutschland war, würde ja Augsteins rechte Schlagseite relativiert. Auch spart er die Entwicklung des Spiegel zum "Sturmgeschütz der Demokratie" und die positive persönliche Entwicklung Augsteins fast völlig aus. Das entschärft zwar keineswegs Köhlers Attacke gegen den frühen Augstein, geht aber an der Lebensleis-tung des Herausgebers vorbei. Übrigens auch am Untertitel des Buches "Ein Leben für Deutschland", der so nur noch als weiterer Untergriff erscheint.

Augsteins und des Spiegel antisemitische Untertöne wurden anlässlich der Verleihung des BörnePreises an Augstein erstmals in aller Öffentlichkeit zum Thema. Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen, hatte als alleiniger Juror Augstein nominiert. Köhler hält es für einen subtilen Racheakt, hatte doch Jahre zuvor der Spiegel an Schirrmachers Reputation gekratzt. Schirrmacher, meint Köhler, könnte den Rechtfertigungzwang, in den der Preis Augstein bringen musste, raffiniert einkalkuliert haben.

In Augsteins eigenen Kolumnen all dieser Jahrzehnte findet man tatsächlich nicht wenige antisemitische Ausrutscher, Rülpser und Untertöne. Da kann man fast schon von notorisch sprechen. Und was seine Redakteure betrifft, so können etliche nicht davon lassen, bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit "Reibach" statt Gewinn oder Profit zu schreiben. Ein semantisches Leitfossil für verkappten Antisemitismus.

Schlimm ist die Sammlung alter Nazis, die Augstein nicht nur in den allerersten Nachkriegsjahren in seiner Redaktion anlegte. Darunter ein persönlicher Goebbels-Adjutant und mancher, der mehr als nur semantisch an den Holocaust angestreift war. Alles ausführlich nachzulesen bei Köhler. Wir erfahren auch von Augsteins diesbezüglichen Gedächtnislücken. Aber wie konnte sich der Spiegel unter der Führung dieses Mannes zu dem entwickeln, was er spätestens ab 1962 (als Franz Josef Strauß den Spiegel besetzen und Augstein verhaften ließ und sich damit selbst ein Bein stellte) tatsächlich war?

Haben wir Augstein "linker gelesen, als er war", wie Iring Fetscher meint? Hat er das Wesentliche in der Fehde mit Strauß gelernt? Oder hat er einfach die Entwicklung Deutschlands mitgemacht und mit großem Sensorium vorantreiben geholfen? Der Biograph hilft uns nicht, das Phänomen Augstein zu verstehen.

Wir verdanken Otto Koehler somit eine Biographie des halben Rudolf Augstein. Die wichtigere Hälfte fiel unter den Tisch. Für ein Buch über den ganzen Augstein würde ich als Titel ein Wort von Nestroy vorschlagen: Wer ist jetzt stärker - ich oder ich?

RUDOLF AUGSTEIN

Ein Leben für Deutschland. Von Otto Köhler. Droemer Verlag, München 2002, 416 Seiten, geb., e 25,60

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