Befreiung und Entblößung

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Hat das Outing zunächst eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Wandlungsprozess und in der Sensibilisierung für Diskriminierungen eingenommen, stellt sich zunehmend die Frage, ob das Private mehr und mehr verloren geht. Dieses Dossier beleuchtet den schwierigen Coming-Out-Prozess homosexueller Menschen. Weiters wird die Frage behandelt, wie viele Einblicke ins Privatleben ein/e Politiker/in erlauben soll. Zuletzt steht die Zukunft der Talkshows und der Selbstinszenierung im Internet zur Diskussion. Redaktion: Regine Bogensberger Warum das Bekenntnis zu sich selbst Altes zerstören, Neues aufbauen, verändern und bewegen kann.

Es kommt der Moment, da wird ein Mensch in seiner Sprache einsilbig. Da wird sein "Ja", sein "Nein", sein "Ich bin …" zum Bekenntnis. Die Maske ist ab. Dazu braucht es meist nur einen symbolischen Handgriff und kaum Worte.

Doch das Davor und Danach eines Outings wird meist so reich an Worte, Erklärungen, Rechtfertigungen und Lügen sein, das Bücher damit gefüllt werden können und auch werden. Das Outing hat seine eigene Natur.

Oft steht am Beginn ein Geheimnis, Gerüchte, ein Leugnen, ein In-die-Enge-getrieben-Werden, eine Hetzjagd. Ein ideales Beispiel ist hier der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, der irgendwann nach einer beispiellosen Aufmerksamkeitswelle gegenüber seinem Privatleben nicht mehr anders konnte, als voll Schmach und Reue vor der Weltöffentlichkeit zuzugeben, dass er eine Affäre mit seiner Praktikantin Monica Lewinsky hatte. Sein Outing als Weiberheld zu diesem Zeitpunkt war fast schon überflüssig.

Aber was hatte die Gesellschaft davon, außer dass seine Frau Hillary Clinton nur über diesen gigantischen Umweg das "Yes, I did it" flüstern hörte - an einem Morgen, beide auf der Bettkante sitzend, wie später der Reumütige in seiner Autobiografie "My Life" zu Papier brachte? Er habe dann wochenlang auf der Couch schlafen müssen, berichtete er später; auch auf jener eines Psychiaters. Seither war der Politiker zu keinem weiteren Outing gezwungen, entweder mit den Jahren monogamer oder vorsichtiger geworden.

Die Flucht nach vorne

Im Gegenzug gibt es das freiwillige sich Outen, ein bewusster, selbst gewählter Moment, dem ebenso eine lange Phase der Selbstreflexion, des Zweifelns, der Angst, des Versteckens vorausgegangen sein kann, wie es bei vielen homosexuellen Menschen der Fall ist, die irgendwann das Verstellen satt haben und mutig zu ihrer Identität stehen wollen. Das Coming-Out ist dann ein erster großer Schritt, ein Durchbruch, der immer wieder wiederholt werden muss, bei jeder neuen Begegnung. "Ich bin schwul, und das ist auch gut so" hatte etwa Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit zu Beginn seiner Wahlkampagne 2001 gesagt und damit die Flucht nach vorne angetreten. Denn der SPD-Politiker ahnte nur zu gut, dass Gegner seine Homosexualität gegen ihn verwenden hätten können. Sein Coming-Out wurde schließlich zum Programm.

Oder das kollektive Outing, als am 6. Juni 1971 in der deutschen Zeitschrift Stern 374 mehr oder weniger bekannte Frauen zusammen den Satz "Wir haben abgetrieben" ausriefen, um ihr Recht auf freie Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft einzufordern.

Die Aktion war in dieser Dimension und Bedeutung einzigartig; auch wenn später bekannt wurde, dass manche der Frauen gar nicht wirklich einen Abbruch hinter sich hatten, wie zum Beispiel die deutsche Paradefeministin Alice Schwarzer, die später zugab: "Wir hätten es aber getan, wenn wir ungewollt schwanger gewesen wären." Das Outing wurde also zum solidarischen Akt.

Das Outing kann auch in manchen Fällen einem Trumpf gleichen, den man zu einem idealen Zeitpunkt in die Runde wirft. Haben nicht schon die meisten von uns diese Verführung verspürt, mit ihrem Outing alle zum Verstummen zu bringen. Meist hat man aber leider keines auf Lager oder es verlässt einen der Mut. Aber was dann, wenn man es doch wagt? Wenn die Verstummten, Sympathisanten und Gegner gegangen sind und man alleine zurückbleibt, nackt und ohne Maske? Für die meisten wird es eine ungemeine Erleichterung sein, der Neubeginn, der persönliche Beitrag zur Akzeptanz von Minderheiten, Randgruppen und Diskriminierten; für manche aber auch eine schwer verkraftbare Entblößung.

Sich in Szene setzen?

Ein Outing kann auch zu spät erfolgen, zum falschen Zeitpunkt oder nie. Wie etwa Günther Grass (siehe auch Seite 14), der erst 2006 eingestand, in seiner Jugend Mitglied bei der Waffen-SS gewesen zu sein. War es zu spät, hätte er es überhaupt noch publik machen müssen? Reicht nicht manchmal das Bekenntnis im engsten Freundeskreis?

Die Reaktionen waren enorm, von äußerst kritisch bis verteidigend. Die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, meinte gar, dieses Bekenntnis sei eine PR-Maßnahme für Grass' neues Buch gewesen. Das Outing als PR-Gag, ob man sich da nicht eher eine andere Aufmerksamkeit wünscht?

Gewiss, hier fügt sich das Outing als mediale Selbstinszenierung ein. Die Sucht nach Aufmerksamkeit und Differenzierung begünstigt ein Outing, etwas womit man sich von anderen deutlich abgrenzt. So manches Outing will eigentlich niemand wissen.

Zuletzt stehen die Fälle, in denen vergeblich auf das befreiende Outing gewartet wird. Doch es kommt nicht. Die Wahrheit bleibt ungewiss. Oder das Outing vermag es nicht, die Gerüchte zu zerstören.

Tragisch etwa der Fall eines ehemaligen Landeshauptmanns, der laut Gerüchten seine Frau geschlagen haben soll. Das Thema wurde öffentlich breitgetreten, mit allen Grausamkeiten. Zuletzt trat der Politiker samt Frau vor die Presse. Sie selbst betonte erneut, dass alles eine Lüge sei.

Es gibt also Fälle, in denen selbst das Bekenntnis keine Erlösung darstellt, für keinen Beteiligten. Als hätten alle nur eine Art des Outings akzeptiert. Die Medienhatz verstummte zwar, ein Zugeständnis der gegnerischen Seite "Wir haben einen Fehler gemacht" blieb aus. Ein Unschuldiger am Pranger, ein Schuldiger, der dem Pranger entkam? Es gibt Outings, die viele überhören.

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