Couragierte Widerständlerinnen

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Die Freie Bühne Wieden setzt mit "Verdunkelung" die Wiederentdeckung von Erika Mitterer fort.

Der Furche war sie jahrelang verbunden, bekannt geworden ist sie als Lyrikerin mit ihrem Briefwechsel in Gedichten mit Rainer Maria Rilke aus den Jahren 1924-26, wirklich einen Namen gemacht hat sie sich als Prosa-Autorin mit dem Roman "Der Fürst der Welt" (1940). Als Dramatikerin - als die erste österreichische, wie Regisseur Gerald Szyszkowitz betont - ist sie jedoch weitgehend unbeachtet geblieben. Die Rede ist von Erika Mitterer (geb. 1906), der die Freie Bühne Wieden seit letztem Jahr einen Schwerpunkt widmet.

Bereits 1931 wurde Mitterers erstes abendfüllendes Drama "Charlotte Corday" publiziert, wenn auch nie aufgeführt, nach dem Erscheinen ihres Schauspiels "Die Nonne von Lissabon" arbeitete sie erst wieder in den 1950er Jahren an dramatischen Texten.

In ihrem letzten Lebensjahr 2001 erschien der erste Band ihrer Dramen aus dieser Zeit, "Verdunkelung", das 1958 vom "Theater der Courage" (dem die heutige Volkstheater-Direktorin Emmy Werner angehörte) uraufgeführt wurde und "Ein Bogen Seidenpapier" (1960), letztes Jahr von der Freien Bühne Wieden gespielt.

Insgesamt hat Mitterer sieben Stücke verfasst, davon sind die meisten bis heute unaufgeführt. Das mag einerseits daran liegen, dass Mitterer wie auch Else Lasker-Schüler oder Anna Gmeyner (zurzeit am Spielplan des Theaters in der Josefstadt) in einer Zeit aktiv wurde, als man Frauen die Befähigung zum Dramenschreiben noch absprach. Andererseits wurde sie in der Nachkriegszeit von einer jungen starken Generation - wie Ingeborg Bachmann oder Gerhard Fritsch - überdeckt. Damit hat man eine der besten dramatischen Stimmen der Nachkriegszeit überhört. Ihre Auseinandersetzung mit den Themen der Zeit basiert nicht auf dem Experimentieren mit neuen ästhetischen Verfahrensweisen, sondern wendet sich - im Rahmen einer traditionellen Dramaturgie - gegen den Nihilismus der Nachkriegsgesellschaft. Mitterers Figuren bleiben selbstverantwortlich zugunsten einer zukunftsorientierten Gemeinschaft.

Theaterhistorikerin Hilde Haider-Pregler, die die Neuausgabe der Stücke kommentiert hat, formuliert auch deren bedeutenden zeitgeschichtlichen Wert. Als erste Autorin hat sich Erika Mitterer mit Geschlechterdifferenz im Nationalsozialismus und dessen langfristigen Auswirkungen auf soziale Gefüge beschäftigt. Besonders in "Verdunkelung", das sie ursprünglich in Versen verfasst und später umgearbeitet hat, schildert Mitterer, wie sich die Rassengesetze des Dritten Reichs im Mikrokosmos einer deutschen Kleinfamilie auswirken. Dem schwachen Vater, dem kriegerischem Ehrgeiz verfallenen Sohn und einem orientierungslosen Dorfpastor stehen die Frauen als couragierte Widerständlerinnen gegenüber. Das Ende kommt überraschend, kennzeichnet allerdings die Tragödie der Ausweglosigkeit: Sabine erschießt die Mutter, die im Lügengewirr der Kriegsnot Realität und Fiktion nicht mehr zu trennen imstande ist, um sie vor der NS-Euthanasie zu schützen. In ihrer Auseinandersetzung mit der Frage, wie man in dieser Zeit noch moralisch korrekt handeln kann, äußert sich Mitterer gegenüber klerikalen Strukturen kritisch. In der Zeugenschaft des Pastors präsentiert sich "Verdunkelung" auch als polemische Parabel der Positionierung der Kirche während des NS-Regimes.

"Verdunkelung" startet am 26. 10.

in der Freien Bühne Wieden,

Wiedner Hauptstr. 60b, 1040 Wien

Tel. 0664/3723272

Für kommendes Jahr ist Erika Mitterers Volksstück "Arme Teufel" geplant.

Dramen von Erika Mitterer, hrsg. von Petra Sela und Martin G. Petrowsky.

Bd. 1 160 Seiten, e 9,-, Bd. 2, 180 Seiten, e 9,-, Bd. 3 136 Seiten, e 11,-

Wien : Edition Doppelpunkt 2001-03

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