Das Wort des Dichters

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Damals, 1967, vor 45 Jahren. Mit Heinrich Böll saßen wir in Tel Aviv im Luftschutzkeller. Fünf Jahre später war er Literatur-Nobelpreisträger.

Schon im März 1967 war auch Günter Grass zu Besuch - und die Israelis lobten: "Das Deutschland, in dem Grass schreibt und agiert, ist nicht das Deutschland von Goebbels...“ 1999 bekam auch er den Nobelpreis.

Böll ist in Israel ein guter Name geblieben, Grass nicht. Mit seinem Gedicht "Was gesagt werden muss“ hat sich der 84-Jährige eben ein (eher lächerliches) Einreiseverbot Jerusalems eingetragen.

Zwischen Solidarität und Bitterkeit

"Im Reizklima des Rechthabenmüssens“ (so Kollege Martin Walser) hat Grass den jüdischen Staat gleich dreifach ins Visier genommen: Israel gefährde den Weltfrieden. Es plane als unkontrollierte Atommacht die Auslöschung des iranischen Volks. Und es erzwinge mit seiner Antisemitismus-Keule das angstvolle Schweigen der Welt.

Jetzt wird politisch und medial geholzt, was das Zeug hält.

Hinter dem Schlachtenlärm steckt einmal mehr die alte, heikle Frage nach dem fairen Umgang mit Israels Politik. Genauer gesagt die Zerrissenheit zwischen Solidarität mit dem großen Opfervolk des Holocaust - und der Bitterkeit gegenüber Jerusalems "Sicherheitspolitik“. Die Reizworte: Besetzung, Besiedlung, Bedrohung.

Ein Thema, das auch mich seit Jahrzehnten umtreibt. Zwei persönliche Anmerkungen dazu:

1. Günter Grass ist mir als Schriftsteller nahe, nicht aber als moralische Instanz. In der "Causa Waldheim“ etwa hat er sich kräftig zu Wort gemeldet - seine jugendliche SS-Mitgliedschaft aber über Jahrzehnte hinweg verschwiegen.

2. Sein neues Gedicht hat mich innerhalb weniger Tage in ein Wechselbad der Gefühle geworfen. Zunächst war da die Hoffnung, ein politisches Tabuthema sei nun offen angesprochen. Dann aber bald Enttäuschung und Ärger. Wie kann Deutschlands berühmteste Stimme mit literarisch so dürren Zeilen und politisch so schlichten Gedanken so viel Aufmerksamkeit finden?

Zwei Wochen des Wortkriegs haben den alten Kernfragen um Israel jeden Boden entzogen. Zum Beispiel:

- Hat der jüdische Staat bleibend eine Sonderrolle aus seiner Geschichte?

- Wo läuft die Scheidelinie zwischen notwendiger Kritik und ungewollter Beihilfe zu latentem Rassismus?

- Und: Versteckt sich - gerade bei uns - hinter solcher Kritik nicht auch ein Hang zur historischen Selbstentlastung?

Alte Wunden neu aufgebrochen

Jahrzehntelang war Israel auch für mich ein schwieriges Land der Bewährung, als Journalist und als Mensch. Professionelle Sachlichkeit und persönliche Betroffenheit waren kaum deckungsgleich zu bringen. Muss das so bleiben?

Die Kontroverse um Grass und sein Gedicht hat nichts weitergebracht. Nur alte Wunden neu aufbrechen lassen.

Wenn überhaupt, dann klärt sich jetzt eine Frage am Rand: "Sind Dichter geistige Führer der Nation“ war vor 50 Jahren das Thema meiner Deutsch-Matura. "Ja“, habe ich damals überzeugt geschrieben. "Eher nein“, glaube ich heute.

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