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Eindeutige Urteile, vieldeutige Literatur: Zum 80. Geburtstag von Günter Grass.

Am Anfang war der Blechtrommelwirbel, zuletzt ein Trauergesang. Als Günter Grass 1959 mit dem Roman "Die Blechtrommel" an die Öffentlichkeit trat, hatte er jede Aufmerksamkeit für sich. Ein junger Autor hatte mit einem Schlag seine Rolle gefunden, in der er die nächsten Jahrzehnte für Aufregungen aller Art sorgen sollte.

Er galt den einen als Befreier aus dem Mief eines verklemmten moralischen und politischen Klimas, der Vergangenheit nicht in Grabesfrieden ruhen lassen wollte, sondern den Deutschen ihre Verstrickungen in Schuld und Verbrechen vorhielt. Er machte das nicht als strenger Moralist, als der er später so gerne in Erscheinung trat, sondern mit den Mitteln eines Fabulierers. Er trieb es kunterbunt, ließ die Fantasie ins Kraut schießen und hielt sich doch an die historischen Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs, um die Bewohner der Nachkriegszeit von der Last der Verbrechen nicht freizusprechen. Das wollten andere nicht so genau wissen und diffamierten Grass als Nestbeschmutzer.

Über wie viele Ichs verfügt Günter Grass eigentlich? Sein Leben und Schaffen ist durchsetzt von Brüchen. Als "Die Blechtrommel" erschien, war er 32 Jahre alt und eine öffentliche Figur geworden, die ihren Einfluss nutzte, um Meinungen ebenso wie Stimmungen zu verstärken. Er mischte sich in die tagesaktuelle Politik ein, trat als Redner und Wahlkämpfer für die SPD auf und politisierte gleichzeitig seine Literatur. Ein Roman wie "örtlich betäubt" (1969) oder die literarische Selbstüberprüfung "Aus dem Tagebuch einer Schnecke" berichten davon.

Was auch immer Grass in der Folgezeit unternahm, er hatte die Öffentlichkeit am Hals. Zeitweise gab er das Schreiben zugunsten der bildenden Kunst auf, er bereiste Indien, beobachtete skeptisch die deutsch-deutsche Vereinigung, kurzfristig versuchte er sich in der Kunst des Schweigens, um dann stets als markiger Kommentator zurückzukehren.

Er sah sich in der Rolle des Aufklärers, der er mit Eifer nachkam. Das versetzte ihn in die Lage, als Gewissen Deutschlands den Bürgern seines Landes Belehrungen und Warnungen zuteil werden zu lassen. Einer weiß, wo es lang geht: das pflanzt seinen politischen Essays und Reden Selbstgewissheit ein. Grass erfüllte damit stets Erwartungen. Er wog nicht ab, galt als Mann des schnellen, moralisch unangreifbaren Urteils und irrte doch immer wieder gewaltig. Bis heute teilt er die Welt in Gegner und Gesinnungsgenossen, für Zwischentöne gibt es wenig Raum.

Die politische Essayistik ist das Disziplinierungsinstrument seiner Leser, die Literatur das Disziplinierungsinstrument des Autors. Hier sprengt er jene Grenzen, die ihm die Kommentare der Zeit nicht einräumen. Er unterläuft politische und historische Wahrheit mit den Mitteln der Imagination, er spielt mit literarischen Traditionen, erfindet sich kurzerhand eine Kunstsprache, um die Alltagswirklichkeit zu verfremden und neu zu entdecken, und er macht Realität zu einem vieldeutigen, widersprüchlichen Ereignis, in dem sich Innenwelt und Außenwelt miteinander zu einem subjektiven Erlebnisraum verbünden.

Das Drama "Noch zehn Minuten bis Buffalo", 1954 in Bochum uraufgeführt, ist ein Schlüsselwerk, das ins szenische Bild setzt, dass unsere Wirklichkeit ein großes Phantom ist. Wirklichkeit ist stets dort, wo sich ein Mensch befindet, der sich einen Reim auf seine Welt macht. Dieser subjektive Reim steht aber in schrillem Missklang zu jenem, in dem sich andere Menschen einnisten.

1999 wurde Grass der Nobelpreis für Literatur zugesprochen mit der Begründung, dass "die Literatur eine Macht bleibt, solange sie daran erinnert, was Menschen sich beeilen zu vergessen". Ach ja, die Erinnerung. Im Sommer 2006 erschien das autobiografische Werk "Beim Häuten der Zwiebel", das dem Verfasser heftige Kritik und Häme einbrachte. Darin bekannte er sich dazu, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein. Nicht dass Grass als Jugendlicher an derart exponierter Stelle mitgemacht hatte, wurde ihm zum Verhängnis, sondern dass er sich so spät dazu bekannte. Schade, dass das Buch nicht als literarisches Werk diskutiert wurde. Es erzählt nämlich die eigene Lebensgeschichte nicht einfach herunter, sondern macht die Erinnerung, die Erlebtes hinter vielen Schichten von Schalen geborgen hält, selbst zum Thema.

Das innere Selbstporträt eines Enttäuschten ergeben die Gedichte des Bandes "Dummer August" (2007) in Summe. Grass sieht sich selbst als "dummer August", als verlachter Clown, den "der spitze Hut, gedreht / aus der Zeitung von gestern" kleidet. Ein "dummer August" war aber auch jener Monat, in dem die Affäre Grass seinen Lauf nahm. Von jenem Zeitpunkt an hat sich das Leben des armen G. G. drastisch verändert. Das hofierte Liebkind des deutschen Feuilletons hat sich zum Ekelerwachsenen gewandelt. Gerade ist er 80 Jahre alt geworden.

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