Die Bibel in heutige Bilder übersetzen

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Was ist aus Martin Luthers Übersetzung geworden? Braucht es heute neue Zugänge? In "77 Zugriffen" ließen sich Künstler von der Bibel inspirieren und führen so die Ausstellungsbesucher in "VULGATA" jeweils zu neuen Entdeckungszusammenhängen.

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Was ist aus Martin Luthers Übersetzung geworden? Braucht es heute neue Zugänge? In "77 Zugriffen" ließen sich Künstler von der Bibel inspirieren und führen so die Ausstellungsbesucher in "VULGATA" jeweils zu neuen Entdeckungszusammenhängen.

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Rechtzeitig zu den beiden neuen Übersetzungen der biblischen Schriften aus katholischer und protestantischer Sicht zeigt das Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz 77 Zugriffe auf die Bibel durch zeitgenössische bildnerische Künstlerinnen und Künstler. Die Ergebnisse beschränken sich mitnichten auf erbauliche Visualisierungen der biblischen Schriften zwecks besserem intratextuellem Verständnis.

Tradition gibt es trotzdem genug zu sehen, wenngleich in Anlehnung an die Bildtradition. So katapultiert François Burland die Geburtsbilder aus Giottos Leben-Jesu-Zyklus in der Arenakapelle in Padua ins 21. Jahrhundert, indem auf seinen großformatigen Holzschnitten die Sputnik-Rakete und Superman als Impulsgeber auftreten.

Bildlich und bildmächtig

Adrian Paci bezieht sich in seinen Zeichnungen auf Film-Stills aus Pier Paolo Pasolinis Evangeliumsverfilmung aus dem Jahr 1965. Dass die dabei auftauchenden Bezugnahmen auf Bildfindungen aus der Frührenaissance aber nie ohne semantischen Verschiebungen vonstatten gehen, zeigt Michael Triegel in seinem Marienbild. Er inszeniert eine barockisierende Madonna in Untersicht und stellt ihr einen Engel in Form einer sich bereits in Verwesung auflösenden, aber dennoch schreienden Katze bei. Barocke Direktheit zur Herstellung einer Engel-Mumie? Schonungslose Analyse in einer engellosen Zeit? Oder doch eine Erneuerung der mittelalterlichen Definition, dass Engel reine Geistwesen seien -und daher im Auftakt der Erlösung bereits den Tod bildmächtig mitliefern dürfen?

Eine andere Strategie verzichtet auf den Übertrag des Schriftlichen ins Bildliche, sondern bleibt bei den Buchstaben selbst, auch wenn diese dann wie Bilder behandelt werden. So vervielfältigt Keiko Sadakane die vier Evangelien handschriftlich jeweils auf die Größe eines A3-Blattes. Als Ergebnis sieht man Farbraumfelder aus feinen Nuancen von Grautönen. Auch das Künstlerkollektiv robotlab verortet sich in diesen Schreibstuben, bei ihnen besorgt die Kopie der kalligraphischen Textvorlage ein Industrieroboter.

"Liebe deinen Nächsten, sehr!"

Die Schöpferkraft im Sinne einer bloßen Imitation wird von den Menschenhänden zur Maschine hinüber gehievt. Gor Chahal extrahiert aus der Vulgata die dort auftauchenden Namen für Gott und appliziert sie als Buchstabenteppich an die Wand, Jochen Höller geht einen umgekehrten Weg, er schneidet das Wort "Gott" aus der Bibel aus und erzeugt damit jene Leerstellen, die als Gottesferne oder Gottes(selbst)entzug unsere Zeit charakterisieren.

Die Ausstellung zeigt aber auch Zugänge, die von einem affirmativen Grundton getragen sind. So buchstabiert Julia Krahn das Hohelied der Liebe in prachtvoll inszenierten Fotografien nach, Schönheit (Hdl. 4,1) und Liebe (1 Joh 4,16b) verbinden sich in bildmächtigen Verleiblichungen. Hier schließt Zenita Komad in imperativischer Form mit ihrer Arbeit "Liebe deinen Nächsten, sehr!" an. Ihre Hände formulieren diese Aufforderung in Gebärdensprache, wobei sie als Wachsabgüsse im Regal stehen und ihre eingelassenen Dochte nur mehr auf die zündende Aktion warten. Die Fotografien von Lidwien van de Ven zeigen den Blick aufs Gelobte Land, wie ihn Moses gehabt haben mag, allerdings mit all jenen Motiven, die heutzutage dort dem Blick begegnen. Auf den großformatigen Scherenschnitten von Lisa Huber zu den Psalmen überfliegen grafische Kürzel im unteren Drittel der Bildfläche positionierte Hände, die sich einerseits liebkosen, andererseits aber auch so weit geöffnet sind, dass sie dieses Formen-Manna aufnehmen können. Die grundlegende Entscheidungsmöglichkeit für alle Betrachter und Leser dieser Ausstellung und der dabei bearbeiteten Texte lässt Valentin Stefanoff in seiner Videoarbeit Jesus selbst mit einem Zitat aus dem Matthäusevangelium (13, 11) formulieren: "Euch ist das Geheimnis des Gottesreiches gegeben, aber zu anderen spreche ich in Form von Gleichnissen - weil sie sehen und doch nicht sehen, weil sie hören und doch nicht hören und nichts verstehen."

VULGATA. 77 Zugriffe auf die Bibel bis 8.7., Kulturzentrum bei den Minoriten Graz, Di-Fr 10-17 Uhr, Sa, So und Feiertags 11-17 Uhr www.kultum.at

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