Ein Ehrenplatz am FURCHE-Heurigentisch

Werbung
Werbung
Werbung

Immer wieder wurde er in dieser Zeitung augenzwinkernd als der "FURCHE-Leser" bezeichnet: der Sozialphilosoph und Politologe Norbert Leser. Nun, da er am letzten Abend des alten Jahres verstarb, müssen wir uns in diesem Sinne von einem - ganz besonderen - Leser verabschieden. Eine Buchbesprechung wollte er uns noch schicken - über einen Band zur "Herausforderung Altern(n)". Es wäre wohl nicht einfach eine kleine Rezension geworden, sondern eine weit über das Buch hinausreichende, umfassende Reflexion zum Thema, durchaus mit Bezügen zur eigenen Person. Ja, Norbert Leser war nicht uneitel - aber es war eine intellektuelle Eitelkeit, die durch seine Persönlichkeit und sein geistiges Format gedeckt war. Er hatte etwas zu sagen und tat dies auch gerne. Immer wieder auch in der FURCHE, unter anderem als regelmäßiger Kolumnist in den Neunzigerjahren unter dem Titel "Von Leser zu Leser" (siehe auch nebenstehendes "Anno dazumal").

"Niemand hat Theorie und Praxis des Austromarxismus 'zwischen Reformismus und Bolschewismus' (Buchtitel 1968) klarer seziert als er", schrieb Hubert Feichtlbauer in der FURCHE anlässlich des 80. Geburtstags von Norbert Leser 2013 (Nr. 22,29. Mai). Und natürlich, dass der Sozialdemokrat Leser "den Niedergang der österreichischen Sozialdemokratie Anteil nehmend, aber unnachsichtig" analysiert hat, "was ihm Parteikapazunder bis heute nicht verziehen haben". Damit vor allem, mit seiner Kritik an der SPÖ, von der er sich mit zunehmendem Alter immer weiter entfernte, wurde Leser assoziiert. Ebenso wie mit seiner tief verwurzelten Liebe zur katholischen Kirche. "Gott lässt grüßen" lautet der programmatische Titel seines 2013 erschienenen Buches zum Thema Glaube und Naturwissenschaft; Untertitel: "Wider die Anmaßung des Reduktionismus und Evolutionismus" - womit auch schon klar ist, in welche Richtung es geht (IBERA/European University Press).

Mit Leser geht einer der letzten Vertreter jener katholischen Intelligenz, die sich jedweder schnellen Zuordnung - politisch wie innerkirchlich - entzogen: eigenständig im Denken, facettenreich und, ja, auch schillernd. Bis zuletzt war Norbert Leser auch Stammgast beim jährlichen FURCHE-Heurigen. Dort hatte er einen fixen Platz auf einem Holzbankerl, wo er freudig dem Wein zusprach und Hof hielt. Er steht fortan symbolisch für jenen Ehrenplatz, der ihm in der Geschichte dieser unserer Zeitung zukommt. R. I. P.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung