Der Fiaker-Traum des Philosophen

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Norbert Leser feiert am 31. Mai seinen 80. Geburtstag und hat ein neues Buch zum Thema Glaube und Naturwissenschaft geschrieben: "Gott lässt grüßen“.

Ein "wohlgefälliges Nicken“ des Direktors ein Jahr vor Schulabschluss nahm Norbert Leser 1951 "Angst und Schrecken“ vor der Matura (Mathe!): Nun, da er mit seinem Jamben-Hymnus zum 80. Geburtstag des Wiener Wasa-Gymnasiums glanzvoll gepunktet hatte, "konnte es sich die Schule gar nicht mehr leisten, mich nicht durchkommen zu lassen“. In diesen Zitaten aus seinem stark autobiografischen Buch "Zeitzeuge an Kreuzwegen“ (2003) steckt der ganze Norbert Leser drin: der von Philosophie ein Leben lang begeisterte, trotz Selbstbewusstsein unter Verkanntwerden leidende, oft zwischen "Momenten höchsten Glücks“ und "tiefster Depression und Daseinsangst“ oszillierende Sozialphilosoph, Historiker und Politologe, der nun selbst 80 wird.

Der am 31. Mai 1933 in Oberwart geborene Neffe des SP-Landeshauptmanns Ludwig Leser studierte Jus an der Universität Wien, habilitierte sich als Professor für Rechts- und Staatsphilosophie in Graz, bekam von Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg ("meine Wahlmutter“) in Salzburg den ersten Lehrstuhl für Politikwissenschaft zugedacht und kehrte 1977 an die Uni Wien zurück.

Vernunft und Gemeinwohl

Niemand hat Theorie und Praxis des Austromarxismus "zwischen Reformismus und Bolschewismus“ (Buchtitel 1968) klarer seziert als er. Als Fachmann für Marxismus- und Sozialismusforschung fand er international Anerkennung. Im Buch "Der Sturz des Adlers“ (2008) hat er den Niedergang der österreichischen Sozialdemokratie Anteil nehmend, aber unnachsichtig beschrieben, was ihm Parteikapazunder bis heute nicht verziehen haben.

Sein Anliegen war immer eine ehrliche, Grundsätze interpretierende, aber nicht verratende, an Vernunft und Gemeinwohl orientierte Politik. Naturgemäß sah er sich Bruno Kreisky nahe, der die SPÖ aus ideologischer Enge befreite. Die Öffnung der SPÖ zu Religion und katholischer Kirche war Leser ein persönliches Anliegen, das er nicht nur aus taktischen Überlegungen kräftig betrieb. Natürlich verehrte Leser Kardinal König, der dessen Bemühen um Aufarbeitung der Vergangenheit schätzte: ein intellektueller Brückenbau.

In zwei Bänden über "Grenzgänger“ zwischen traditionellen Fronten (1981, 1982) führt Leser nicht zuletzt Personen aus dem katholischen Milieu an. Nicht nur aus dem linkskatholischen: An Otto Mauer (wie auch an Diego Hanns Götz und Raphael Dorr) faszinierte ihn die "Ausstrahlung als Prediger“. Er selbst fand ja, dass in einem Professor "ein wenig auch ein Prediger, Politiker und Schauspieler“ stecke: der Trinitarier Leser!

In seinem religiösen Credo war Norbert Leser kein Grenzgänger, hier war er daheim. Im Atheismus ortete er die "Wurzel für den Bankrott des Sozialismus,“ schrieb einmal Günther Nenning, ein Ziel- doch niemals Stilgenosse. Lesers Neigungswechsel von Rot zu Schwarzgelb hielt Nenning für eine spektakuläre Synthese. Vielleicht war ein wenig auch tätige Reue dabei, nachdem Leser aus Parteiloyalität dem "Habsburg-Kannibalismus“ der Broda-SPÖ "juristisch-literarische Schützenhilfe“ geleistet hatte. Das Ehrenband der katholischen Landsmannschaft Maximiliana trägt Leser mit Stolz.

Der FURCHE-Leser

Die FURCHE verdankt ihm seit den Zeiten des von ihm hoch geschätzten Friedrich Heer viele Ideen, Anregungen und sieben Jahre lang die Kolumne "Von Leser zu Leser“. Immer besuchte er als gern gesehener Gast unsere jährliche Heurigen-Diskursgemeinde. Nun beschert er seiner großen Fan-Gemeinde den schmalen, aber gewichtigen Bekenntnisband "Gott lässt grüßen“, für dessen Geleitwort er Anton Zeilinger gewann.

Norbert Leser legt seinen Überlegungen gemäß Vaticanum II die klare Regel zu Grunde: Theologen sollten von der Naturwissenschaft keine Gottesbeweise verlangen, Naturwissenschafter aber sollten nicht behaupten, sie könnten beweisen, dass es Gott nicht gibt. In seinem persönlichen Glauben gesteht Leser Gott "inmitten der Evolution“ einen "zweiten Schöpfungsakt“ in Form individueller Beseelung zu, die den Menschen endgültig vom Tier unterscheide. Seit Teilhard de Chardin freilich gilt dieser krasse Seele-Leib-Dualismus zu Gunsten eines sich auf Gott hin entfaltenden ganzen Menschen auch vielen Theologen als entbehrlich.

Teilhard gerät nur ins Personenregister, weil der Universitätslektor Paul R. Tarman in einem Schlusswort ihn erwähnt und mit Leser versöhnt, da ja beide in der Evolution die "Ent-faltung und Ent-wicklung eines Vorgegebenen“ sähen. Bei Lesers Position spielt wohl auch dessen unverkennbare Geringschätzung von Materie und Natur eine Rolle, die er als dem Geist, der Philosophie und der Kunst untergeordnet klassifiziert.

Der Kunst dient unser Philosoph in alten Tagen auch durch Pflege des Wiener Liedes, das er wegen seiner Gott- und Todbezüge schätzt. Sein Traum ist, unter Verzicht auf Auto, Fernsehen und Computer "mit einem feschen jungen Fiaker ins Grüne zu fahren und mit ihm zu singen und zu zechen“. Dieses Menschsein in allen Facetten der Geistes-, Seelen- und Gefühlswelt macht die Ausnahmepersönlichkeit des Norbert Leser aus. Warum gibt es immer weniger von dieser Sorte?

Gott lässt grüßen

Von Norbert Leser

IBERA/European University Press, 144 S., geb., € 16,-

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