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Leichte Kost ist sein filmisches Œuvre keineswegs. Epochal aber zweifellos. Gedanken zum unerwarteten Tod von Theodoros Angelopoulos (1935-2012).

Mai 2002: Vor dem Tagungszentrum in Graz fuhr ein Auto vor. Die klaren, aufmerksamen Augen des schmächtigen Mannes, der ausstieg, waren ständig in Bewegung, schienen alles zu erfassen. Das freundliche Lächeln, das beim Händeschütteln jedem geschenkt wurde und die persönlichen Worte, die er an jeden einzelnen richtete, waren einnehmend. Zwei Tage nahm sich Theodoros Angelopoulos Zeit für die Tagung "Zeit, Geschichte und Gedächtnis“, die die internationale Forschungsgruppe "Film und Theologie“ ausgerichtet hatte. Zwei Tage saß er am Podium, im Publikum und bei Filmsichtungen und stand Rede und Antwort - aber immer unter dem Vorbehalt, sich selbst nicht zu interpretieren. Und so blieb er doch ein wenig rätselhaft, hermetisch.

Seit seinem dritten Langfilm "Die Wanderschauspieler“ (1975) war das philosophische Potenzial seiner Filme Insidern bekannt. Dieses Werk eröffnete den Reigen zahlreicher Auszeichnungen: Berlin, Venedig, Cannes und andere Festivals würdigten in seinen 40 Schaffensjahren seine Bemühungen um - worum eigentlich? Das ist nicht einfach in Worte zu fassen, vor allem nicht in wenige.

Politische Schlüsselerfahrungen

Politisch war der 1935 in Athen geborene Angelopoulos geprägt von Schlüsselerfahrungen: von der Okkupation Griechenlands durch Hitlerdeutschland 1941, der Verhaftung seines Vaters durch die kommunistische ELAS 1944, von Bürgerkrieg und striktem Antikommunismus der Nachkriegsjahre, von Studienzeiten in Athen und Paris, von der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten in den 60er Jahren und der Militärdiktatur 1967-74. All dies prägte ihm eine gesunde Distanz von jeder Ideologisierung, aber auch eine deutliche Tendenz zum Sozialismus ein. Seine Filme haben eine eminent politische Dimension - immer wieder die Vision der Möglichkeit einer gerechten Gesellschaft, die jedem gibt und gönnt, was er bzw. sie braucht, aber auch und vor allem in den späteren Filmen immer wieder die Erkenntnis, dass alle Anstrengung dazu letztlich Stückwerk bleibt und menschliches Vermögen gerade durch menschliche Beschränkung hinter dem theoretisch realisierbaren zurückbleibt, ja zurückbleiben muss. Der Krieg in den Ländern von Ex-Jugoslawien, insbesondere in Bosnien, bildet hier eine deutliche Zäsur.

Wider verabsolutierte Ideologien

Der Filmemacher war Ziel heftiger Kritik der griechisch-orthodoxen Kirche. Eine regionale Exkommunikation bildete 1991 den Höhepunkt des für Außenstehende nur schwer begreiflichen Konfliktes, den Angelopoulos selbst aber nie "der Kirche“ anlas-tete, sondern ihn immer als Folge des Fanatismus von konkreten Personen begriff. Von pauschalen Schuldzuweisungen hielt er sich fern; am ehesten kann man diese noch in den Versatzstücken und archetypisch angelegten Rollen erkennen, die in seinen Filmen für verabsolutierte Ideologien stehen.

Angelopoulos war ein Regisseur des Weges: des Weges durch den Raum, des Weges durch die Zeit, des Weges durch die Veränderung von Weltsichten. Er hatte dafür eine eigene und eigenwillige Ästhetik entwickelt. Er entwarf Parallelwelten aus Gegenwart und Vergangenheit, aus Erleben und Erinnerung. Seine Einstellungen sind lang; ihre Rhythmik ist schwer zugänglich und erschließt sich erst aus der Zusammenschau mit Inhalt, Struktur, schauspielerischen Leistungen und in erheblichem Anteil dem Soundtrack. Erst diese Zusammenstellung ermöglichte ihm, letztlich Unzeigbares zu zeigen: die Verwiesenheit des Menschen auf etwas, was größer ist als er selbst und das man profan Solidarität, Humanität, Ethos oder sakral gewendet Spiritualität, Schöpfungsgerechtigkeit, Nächstenliebe nennen kann. Alles, was Transzendenz betrifft, sparte er aus; er sorgte vielmehr dafür, dass sich im Zuseher die Frage nach einer Transzendenz andauernd stellen kann und er sich an wenigen Stellen radikal mit ihr konfrontiert sieht. Nicht, wohlgemerkt, mit einer religiös vorweg aufgeladenen, sondern mit einer schlichten, aber nicht weniger herausfordernden, in den Alltag einbrechenden Andersheit.

In einem Interview berichtete Angelopoulos von der Begegnung mit einem jungen Griechen: "[Er] ist zu mir gekommen, und ich hatte schon den Eindruck, dass er mich angreifen wollte. Nein, er ist stehengeblieben, hat mich angeschaut und gesagt:, Schön, dass es sie gibt!‘ Und das ist das Wichtigste, was ich in meiner Karriere gehört habe.“ (Larcher: Zeit, Geschichte und Gedächtnis, 136).

* Der Autor ist Fundamentaltheologe an der Uni Graz

Theo Angelopoulos

Geboren 1935 in Athen, gestorben am 21. Jänner 2012 während der Dreharbeiten zu "Das andere Meer“.

Buchtipp: "Zeit, Geschichte und Gedächtnis. Theo Angelopoulos im Gespräch mit der Theologie“, Hg. Gerhard Larcher u.a., Schüren 2003.

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