Werbung
Werbung
Werbung

"Erst der Tod lässt unsere menschliche Existenz zur Ganzheit werden" - die Synthese aus antiker Mythologie und Moderne von Angelopoulos

Die Filme des griechischen Regisseurs Theo Angelopoulos erzählen fast alle von Grenzen. Eigentlich ist sein gesamtes bisheriges Werk ein einziger Film, der von unterschiedlichen Reisen an die unterschiedlichsten Grenzen erzählt: an geographische, politisch-ideologische und persönliche Grenzen, deren letzte wohl die Grenze des eigenen Lebens, der Tod, ist, wie das in seinem bislang letzten Film "Die Ewigkeit und ein Tag" deutlich wird.

Schon sehr früh verließ der Jurist Theo Angelopoulos (geboren 1935) Griechenland, um in die Stadt seiner künstlerischen Träume, Paris zu gelangen. Der Aufenthalt wurde vorerst nur ein kurzes Intermezzo, das aber nachhaltige Spuren hinterließ. Hier wird er vertraut mit der Philosophie u.a. von Lévi-Strauss. Er nimmt Filmkurse bei Jean Mitry und Georges Sadoul und ist kurzfristig Regieassistent bei Jean Rouch. 1964 muss Angelopoulos aus familiären Gründen zurück nach Griechenland und bleibt. Er gerät in politische Auseinandersetzungen, die nach der Entlassung des Regierungschefs Georgios Papandreou durch König Konstantin II. beginnen. Er schreibt als Filmkritiker bei der linken Athener Tageszeitung "Dimokratiki Allaghi". Der Militärputsch im April 1967, bei dem eine Reihe seiner Freunde verhaftet werden und Angelopoulos selbst nur knapp entkommt, macht ihm die Bruchlinie zwischen Vision und realer Umsetzung bewusst. Die Probleme mit dem Regime werden nicht geringer, als er sich zunehmend auf das Filmemachen verlegt. Immer auch mit der Intention, politische Inhalte als Ansprüche zu formulieren. Schon seine ersten größeren Filme wie "Rekonstruktion" (1970) oder "Die Tage von '36" (1972) fallen auf, sehr bald spricht man vom "neuen griechischen Kino". Der politischen Ablehnung in Griechenland zum Trotz stellen sich große Erfolge in Europa und auch in Japan bald ein.

Wer ist dieser Reisende aus Griechenland, der immer wieder an Grenzen stößt und nie an sein Ziel zu kommen scheint? Sein Film "Der Blick des Odysseus" (1994) thematisiert vielleicht am offensichtlichsten dieses Grundthema der Reise. Seine Reise ist die mythologische Reise des Odysseus nach Ithaka. Angelopoulos' filmische Arbeit gleicht einer Synthese aus antiker Mythologie und Moderne. Nur - seine Hauptfigur (Harvey Keitel als Odysseus) kommt nicht zu Hause an, seine Irrfahrt durch Südosteuropa endet im belagerten Sarajewo 1992. Also nicht Ithaka? Keine Ankunft, keine Heimat?

Odysseus in Sarajewo

Nein, die Reise geht in seinem bislang letzten Film "Die Ewigkeit und ein Tag" in der Figur des namenlosen Schriftstellers A. (Bruno Ganz) weiter. Noch einen Tag hat A. zu leben, noch eine Chance, Boden unter den Füßen zu gewinnen. Und da begegnet A. einem jungen albanischen Buben, den er vor der Polizei rettet. Keine Worte vorerst, nur ein dankbares Lächeln. Erst später werden Worte "gewechselt": A. kauft sie dem Jungen ab, Wort für Wort, um dessen Sprache zu erlernen.

Angesichts aller enttäuschten Visionen der sechziger, siebziger Jahre, der "eingeschlafenen Revolutionen", die Angelopoulus in diesem Film sehr augenscheinlich vorführt, bleibt die Hoffnung nur in der gewonnenen Beziehung zu diesem Kind, das sein Leben noch vor sich hat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aber welches Leben erwartet dieses Kind, das als Hoffnungsträger fungiert? Dieselben Visionen, oder Andere? Und wie werden seine Abenteuer letztlich ausgehen? Hier schweigt Angelopoulos auf direkte Anfrage, hier will er sich nicht festlegen.

Gibt es letztlich Spuren, die der Regisseur dem Zuschauer legt, Verweise auf mögliche Lösungen? Auch wenn sich Angelopoulos von Andrej Tarkowskij klar zu distanzieren versucht, ist die stilistische und auch geistige Nähe zum russischen Regisseur unübersehbar. Mit dem bedeutsamen Unterschied, daß Tarkowskij auf die von ihm geortete "transzendentale Obdachlosigkeit" seiner Zeit eine konkrete Antwort geben will, die er mit dem Begriff der "Spiritualität" umschreibt, was auch immer dieser Begriff bedeuten mag. Theo Angelopoulos erliegt dieser Versuchung nicht, eine konkrete Lösung anbieten zu müssen. Seine Arbeit zeichnet aus, dass seine Filme fast alle kein Ende haben, sondern immer den Ansatz für eine nächste Frage, eine nächste Geschichte in sich tragen.

Einsames Schweigen

Es mag den Anschein haben, dass sich Angelopoulus gegen Ende seiner großen Lebensreise auf sich selbst zurückgeworfen sieht, und dass das Zerbrechen von Lebensentwürfen in Einsamkeit endet. Vor allem in Filmen wie "Die Reise nach Kythera" (1982/83), "Der Bienenzüchter" (1986), "Landschaft im Nebel" (1988), aber auch in "Der schwebende Schritt des Storches (1991) steht das Schweigen des Einsamen im Zentrum. Aber Angelopoulos sieht sich so zu einfach verstanden, es geht ihm sehr wohl um Hoffnung. Gerade an der Grenze des Lebens rückt er das Kind, besser gesagt die Beziehung des Erfahrenen und Suchenden zum Kind, als Zeichen der Hoffnung deutlich in den Vordergrund.

"Die Grenze des Todes zu akzeptieren ist Freiheit. Erst der Tod lässt unsere menschliche Existenz zur Ganzheit werden". So Angelopoulos, dem das Christentum durch seine Herkunft sehr vertraut ist. Er will sich als Agnostiker verstanden wissen. Doch seine späten Filme sind fast alle stark geprägt von transzendenten Chiffren. Er spricht vom "Mysterium des Menschseins", vom "Wunder der Geburt" und vom "Skandal des Todes". Ja, meint er, nur der Glaubende kann von diesem Wunder reden, er als Agnostiker müsse eher vom Rätsel reden. So unternimmt er eher eine weitere große Reise, um das Rätsel des Lebens zu erkennen. Die Koffer für die nächste Trilogie, eine griechische Identitätssuche im 20. Jahrhundert, sind schon gepackt.

Der Autor ist Sendungsverantwortlicher des ORF-Magazins "Kreuz und Quer"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung