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Eine antike Straßenkarte

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Unter den Kostbarkeiten der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek verdient die „Tabula Peutingeriana“ , Codex Nr. 324, seit 1863 in elf Tafeln aufgelöst und zu einem Band vereinigt, als besondere Rarität hervorgehoben zu werden. Stellt sie doch das einzige Exemplar einer zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert in Süddeutschland oder der Schweiz (die Meinung der Forscher über den Zeitpunkt ihrer Entstehung und dem Ort der Anfertigung ist geteilt) kopierten und dadurch erhalten gebliebenen antiken Straßenkarte des römischen Imperiums aus dem vierten Jahrhundert nach Christi dar, die bei Truppenbewegungen, offiziellen und privaten Reisen ein verläßliches und handliches Kursbuch abgab. Trotz des fehlenden Blattes der westlichsten Provinzen Britannien und Hispanien veranschaulicht die Tabula Peutingeriana Macht und Ausdehnung des römischen Reiches In einprägsamer Weise.

Eigentlich verdanken wir es Prinz Eugen von Savoyen — in dessen Auftrag der kaiserliche Antiquitäteninspektor Gustau Heraus die Tabula 1715 von den Erben der Augsburger Humanistenfamilie Peutinper, in deren Besitz sie seit dem Tode Kon-rad Ce!tes' im Jahre 1459 war, für hundert Dukaten erwarb —, daß diese unter Karl VI. als Erbschaft in die Hofbibliothek gelangte und dort auf das Sorgsamste gehütet allen Gefahren des Verlorengehens oder Auseinandergerissenwerdens entging.

Bereits 1753 edierte Franz Christoph de Scheyb die „Tabula“ , doch erst eine Faksimile-Ausgabe des Wiener Verlages Angerer und Göschl von 1888 brachte das Werk und dessen Inhalt einer breiteren Gruppe von wissenschaftlich Interessierten nahe.

Ein Jahr vorher eröffnete der Stuttgarter Gymnasialprofessor Konrad Miller mit einer ersten deutschen Bearbeitung der lateinischen Tabula die fachwissenschaftlichen Disputationen über den Wert und die Auslegung dieses einmaligen, sowohl historischen als auch geographischen Dokumentes, als dessen Vorlage er die Weltkarte des berühmten antiken Geographen Castorius zu erkennen glaubte.

In den nun folgenden 30 Jahren versuchte Miller unter Heranziehung der überlieferten römischen Reisebücher, des Itinierarium Antonini, It. Hierosolymitanum und Maritimum und anderer, das auf der Peutingeriana pictographisch festgehaltene antike Weltbild zu erschließen. Die Karte umfaßt ein Gebiet, das sich von Gallien über Belgien zu den Ufern des Rheins und der Donau, über Kleinasien nach Syrien und Mesopotamien und sogar bis nach Indien erstreckte und im Süden die afrikanischen Küstenländer bis tief in die Sahara und Ägypten mit einbezog. In Millers Arbeit treten die Probleme der Detailforschung zugunsten einer einheitlichen Gesamtdarstellung in den Hintergrund. Trotz aller erfolgten Einsprüche von Seiten deutscher, französischer und österreichischer Gelehrter dürfen die von Miller vorgenommenen oder akzeptierten Identifikationen der wichtigen Orte, der Verlauf und die Kreuzungspunkte der aufgezeichneten Reichsstraßen, die sich insgesamt auf 70.000 milia passum (eine römische Meile gleich 1,485 Kilometer) belaufen, als gesichert angenommen werden.

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