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Zerstörte Eremitage

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Ein Kaffeehaus in Wien weniger, das sollte doch nicht so schlimm sein, sogar wenn es sich um eines der bekannteren handelt: nun gibt es neben dem Cafe Haag noch das „Landtmann", das „Central" und das „Griensteidl", zwei davon rekonstruiert. Warum trifft aber der Verkauf, die Schließung, die Weitergabe an die Kette „Pizza I lut" des alten und schon etwas schäbig gewordenen Cafe Haag ganz besonders schmerzlich? Das Cafe Haag lag zwischen Schottengasse und Schottenhof und hatte einen Garten in der einzigartigen Idylle des Schottenhofs. Inmitten des dichten und lärmenden Verkehrs nahe Schottenring und Luegerring gab es da eine mit hohen. Bäumen bewachsene, von alten Häusern schützend eingeschlossene Natur. Das Tor zum Schottengymnasium und die Prälatur des Benediktinerstifts der Schottenkirche begrenzten diesen Hort der Stille auf der einen Seite. Dieser Kaffeehausgarten war ein Ort der Gespräche, der Lektüre, der Besinnung. Dort war man mitten im Zentrum der Stadt und doch der Stadt, dem Verkehrslärm und vor allem der Zeit enthoben. Dieses Cafe war zum Unterschied vom „Central", dem „Griensteidl", dem „Landtmann" ein durchaus „inoffizielles" Cafe, dort sah man kaum Politiker, kaum Begierungsmitglieder, kaum prominente Schauspieler. Wer dorthin ging, war ziemlich sicher, „niemand unvermutet zu begegnen". Man fühlte sich dort privat, ein wenig wie in der Eremitage. Die gotische Statue des Stifters mit dem Klostermodell in der Hand über dem alten Brunnen, dessen Wasserstrahlen in das Becken plätscherten, gaben den melodischen Hintergrund. Ich bin dort unzählige Male mit Herbert Zand, Thomas Bernhard, mit Marlen Haushofer, Ingeborg Bachmann, mit Elias Canetti, Manes Sperber, Erich Fried, Jakov Lind und vielen damals noch Unberühmten gesessen, und wir wußten - das war einer der schönsten Orte, die es gab. Ich selbst habe dort Piaton, Aristoteles, Seneca gelesen, mit Assoziationen an die Schulzeit, die ich in dem Gymnasium hinter dem 1 Iof verbracht hatte. Das Bewußtsein, daß es diesen Ort gab, daß ich ihn jederzeit wieder aufsuchen konnte, hat mit über viele schwere Probleme hinweggeholfen. Vorbei. Wien sorgt schon dafür, daß Nostalgie, wie sie auftaucht, doch auch wieder verschwindet. Die Benediktiner, denen der ganze Häuserkomplex gehört, die Altschotten mit all ihrem Einfluß waren nicht imstande, die Tradition des Cafe Haag zu schützen.

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