Maria Biljan-Bilger: Grande Dame der österreichischen Plastik

19451960198020002020

Einst galt sie als Impulsgeberin, heute ist Maria Biljan-Bilger wie so viele andere Künstlerinnen ihrer Zeit viel zu wenig bekannt. Dabei kann man ihre Kunst zum Beispiel im Foyer der Wiener Stadthalle sehen. Eine Erinnerung zum 20. Todestag einer Revolutionärin.

19451960198020002020

Einst galt sie als Impulsgeberin, heute ist Maria Biljan-Bilger wie so viele andere Künstlerinnen ihrer Zeit viel zu wenig bekannt. Dabei kann man ihre Kunst zum Beispiel im Foyer der Wiener Stadthalle sehen. Eine Erinnerung zum 20. Todestag einer Revolutionärin.

Werbung
Werbung
Werbung

Maria Biljan-Bilger war auf ihre Art eine Revolutionärin. Als eine der interessantesten Künstlerinnen der beginnenden Zweiten Republik wurde sie von jungen männlichen Künstlern, die berühmt werden sollten, geradezu umschwärmt. Sie galt als Impulsgeberin, wurde selbst aber später schlichtweg vergessen. Wer hat nicht im Foyer der Wiener Stadthalle schon einmal einen Blick auf die schwarzen Balken und bunten Farbfelder geworfen, ohne den Namen der Schöpferin zu kennen? Maria Biljan-Bilgers Œuvre zeichnet sich durch eine Vielfalt an Formen, die organische Verbindung von Moderne und Archaik und vor allem durch ein Überschreiten aller künstlerischen Sparten aus.

Geboren wurde Maria Biljan-Bilger 1912 als Tochter eines aus Kroatien stammenden Hafnermeisters in Radstadt. In Graz aufgewachsen, besuchte sie die dortige Kunstgewerbeschule und wurde zur Keramikerin ausgebildet. Das Handwerker-und Arbeitermilieu blieb ihr zeitlebens ebenso wichtig wie jene kleine Gruppe linksbürgerlicher Intellektueller, mit der sie sich damals anfreundete; dazu gehörte auch die spätere Psychoanalytikerin Goldy Parin-Matthéy. Maria Biljans erster Ehemann, der Chemiker Ferdinand Bilger, zog 1936 auf republikanischer Seite in den Spanischen Bürgerkrieg, ihr eigener Versuch, in den Kampf nachzufolgen, scheiterte. Unmittelbar nach dem "Anschluss" verließ Maria Biljan-Bilger die "Stadt der Volkserhebung", um in der Anonymität der Großstadt Wien unterzutauchen. Sie wurde Hilfsarbeiterin in einem keramischen Betrieb.

Den Künstlerkreis um den Maler Herbert Boeckl, dem sie bald angehörte, charakterisierte sie später delikat als Grauzone zwischen Anpassung und Widerstand: "Gespräche mit unklaren Einstellungen zum täglichen Geschehen, unbewusste Tendenzen zum faschistischen Gedankengut und verkappter Antisemitismus". Politisch wichtiger war die Begegnung mit dem italienischen Zwangsarbeiter und späteren Bildhauer Wander Bertoni, mit dem sie eine Beziehung einging und zu Kriegsende nach Oberösterreich floh. In Ebensee sah Maria Biljan-Bilger die befreiten Häftlinge des Konzentrationslagers.

Archaische Züge

Die Erfahrung von Krieg und Nationalsozialismus bestimmen Maria Biljan-Bilgers weiteres Leben und Schaffen. Ein Selbstporträt aus 1945 zeigt nicht nur Nacktheit und Ausgesetztheit, gepaart mit Selbstbewusstsein, es markiert auch einen künstlerischen Neubeginn. Ihre bislang entstandenen realistischen Tier- und Menschendarstellungen bekommen deutlich archaische Züge; die oftmals wiederkehrende Figur des Adlers etwa - ein Symbol für den verstorbenen Vater -gerät wild und surreal. Zu dieser Zeit entdeckt Maria Bilger auch die Technik der Engobierung. Anstatt den Ton vor dem Brennen zu glasieren, also gleichsam mit Glas zu überziehen, bemalt sie einen Großteil ihrer künftigen Arbeiten mit färbigem Schlick. Die Keramiken werden dadurch stofflicher, sinnlicher.

"Wien blühte, trotz zerbombter Häuser", schreibt Maria Biljan-Bilger später in ihren "Bemerkungen zu meinem Leben" über die hauptstädtische Kunstszene der Nachkriegszeit. In der männlich dominierten Kunstszene macht sie sich als Gründungsmitglied des Art-Clubs dennoch einen Namen und gilt bald als "Bildhauerin der ersten Stunde". Ihre Ausstellung im legendären Strohkoffer unter der Loos-Bar eröffnet der aus der Emigration zurückgekehrte Fritz Wotruba mit den Worten: "Es wäre ein gutes Zeichen für das Publikum, wenn es diese unverdorbene, rücksichtlose, durch keine übliche Kunstphase entstellte tönerne Sprache zu verstehen versuchte." Bezeichnend für den Geist dieser Zeit ist die jovial-patriarchale Reaktion des Kulturpolitikers Viktor Matejka auf die subtilen Tierdarstellungen der mittlerweile weit über 30-jährigen Keramikerin: "Aber Kinderl, an Igel bringts, an Igel -Denkmäler brauch' ma jetzt, Denkmäler!"

Biljan-Bilgers Karriere läuft dennoch gut an: Terrakotten und Textilarbeiten werden in den Jahren 1950 und 1954 auf der Biennale in Venedig gezeigt, es folgen weitere Ausstellungen in Italien und in den USA, schließlich zahlreiche Aufträge der öffentlichen Hand und großer Institutionen: Kinderspielplätze in Gemeindebauten, das schon genannte Mosaik im Nordfoyer der Wiener Stadthalle, wofür sie von Roland Rainer engagiert wurde; für dessen Böhlerhaus gestaltet sie einen Gobelin. Über Vermittlung des Architekten kommt es zur Produktion des legendären Kinderspielzeugs KRI KRI, das heute bei Auktionen hohe Preise erzielt.

Bemerkenswerte Gobelins

Bemerkenswert sind auch die von Figuren wimmelnden Gobelins wie "Altes und Neues Wien", "Weltenrad" oder "Tour de France". Die vielleicht spektakulärste Arbeit dieser Zeit ist eine neun Meter lange, menschenhohe und freistehende Sandsteinwand für das Ausstellungsrestaurant "Bellevue" in Grinzing aus 1962. Archaik und Moderne werden in rigorosem Gleichgewicht gehalten -für Maria Biljan-Bilger ging das Zeitalter der Extreme, auf das es eine künstlerische Antwort zu geben galt, 1945 noch nicht zu Ende. (Das Restaurant ist mittlerweile längst abgetragen, die Sandsteinmauer heute in Sommerein zu besichtigen.)

Keramische Frauenfiguren

In den 1970er-Jahren übernimmt Maria Biljan-Bilger gemeinsam mit Karl Prantl, mit dem sie sich später überwirft, die Leitung des berühmten Bildhauersymposiums in St. Margarethen und beginnt selbst mit der Arbeit an großen Steinskulpturen. Erst 1978 bekommt sie schließlich mit der Meisterklasse für Keramik eine Professur an der Hochschule für Angewandte Kunst am Wiener Stubenring, die sie allerdings nur bis 1982 behält.

Es sind die monumental wirkenden, kaum Lebensgröße erreichenden Frauenfiguren jener Zeit, die ihr eigentliches keramisches Hauptwerk darstellen: Eine "Fruchtbarkeitsgöttin", "Drei Nornen", eigentümliche morphologisch verformte Symbiosen von Mutter und Kind, ein "Vogeldämon" in aufreizender Stellung mit gespreizten Beinen oder "Die Seherin": dunkelblau, fast schwarz mit strahlend erhobenem Blick, demonstrativ Brüste und Vulva zur Schau stellend. Die Figur demonstriert keinerlei aktionistische Koketterie.

Das zeitgleich entstandene, beinahe zur Säule reduzierte männliche und armlose Gegenstück betitelt sie als "Der arme Mann"; inoffiziell nennt sie die enigmatische Figur "Jesus Christus"."Keramik ist die Hauptader meines Lebens -sie geht durch alle Zeiten mit mir", bemerkt Biljan-Bilger einmal. Nicht zu unterschätzen sind dabei ihre späten "angewandten" Arbeiten wie die Serie an Glasfenstern im Mödlinger Exerzitienhaus St. Gabriel; die opulente Deckengestaltung des Vereinshauses in Horn und eine weitere, ob ihrer Buntheit geradezu überschwängliche Deckenmalerei in der Bergkapelle in Ramingstein im Lungau, eine späte Gemeinschaftsarbeit mit Friedrich Kurrent.

Am 1. Mai 1997 starb die "Grande Dame der österreichischen Plastik", wie sie Wieland Schmied, seinerzeitiger Kunstkritiker der FURCHE, einmal bezeichnete. Noch zu ihren Lebzeiten hatte Maria Biljan-Bilgers Ehemann, der Architekt Friedrich Kurrent, in Sommerein am Leithagebirge mit der Errichtung einer Ausstellungshalle, einer Erweiterung des gemeinsamen Atelierhauses begonnen. In einem Text über die erste Begegnung mit der lebenslangen Partnerin und künstlerischen Gefährtin schrieb Kurrent einmal: "Die Erotik, die in einem Moment alle hunderttausend Teilaspekte zusammenfasst, ist eine heiße, lebensspendende Blüte. Sie ist das Wesentliche beim Entstehen einer Fügung. Erst dadurch wurde ich Mensch." Man könnte auch altmodisch sagen: Die Liebe ist stärker als der Tod. Wie jedes Jahr öffnet die Maria Biljan-Bilger-Ausstellungshalle in Sommerein auch heuer ab 1. Mai ihre Tore.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung