Werbung
Werbung
Werbung

"Carmen" mit Nikolaus Harnoncourt und Andrea Breth bei der styriarte.

Sinnlich" - wohl kaum ein Stück könnte besser zum Motto der diesjährigen styriarte passen als Carmen. Nikolaus Harnoncourt, der mit dieser Produktion seinen Weg von Monteverdi ins 19. Jahrhundert konsequent fortsetzt, weckte bewusst Erwartungen auf Neues: "Wenn man weiß, wovon ein Stück handelt, und das wird nicht beachtet und umfunktioniert, dann bleibt einem gar nichts anderes übrig, als es selbst zu machen."

Carmen hat vielfach zu Interpretationen angeregt. In seiner berühmten Lossagung von Wagner schrieb Nietzsche 1888: "Endlich die Liebe, die in die Natur zurückübersetzte Liebe! Nicht die Liebe einer höheren Jungfrau'! Liebe als Fatum, als Fatalität, cynisch, unschuldig, grausam - und eben darin Natur!" Harnoncourt realisiert in Graz die Originalfassung ohne die bis in die 1960er Jahre üblichen Striche. Das daraus entstehende dunkle Bild der Erfolgsoper lässt in seiner lastenden Schwere zuweilen eher an Wagner als an Bizet denken. Deutlich wurde, dass der "Urtext" nicht immer die dramaturgisch beste Lösung sein muss. Denn überzeugte der Maestro auch mit gewohnter Verve und plastischer Detailarbeit, fehlten dennoch merklich die großen Bögen. So sehr das Chamber Orchestra of Europe mit lärmender Kampfmusik, blühenden Kantilenen, sinnlicher Romantik und kammermusikalischer Begleitung in Spitzenqualität aufhorchen ließ, stellten sich doch ermüdende Längen ein. Neben dem unverständlichen Fehlen von Übertiteln - heute Standard an allen internationalen Häusern - trug dazu auch die eintönig graue Bühne wesentlich bei.

Schade, denn die Interpretation der Fabel war durchaus sehenswert. Andrea Breth betonte die mythische Sphäre der Liebe. Von Beginn an wurde Carmen mit dem Ritual des Stierkampfs in Verbindung gebracht - bis sie im magisch glühend roten Kreis im dritten Akt selbst zum Opfertier wurde. Aus Mérimées Text extrahierte Symbole wie der flatternde schwarze Vogel oder die roten Katzen, Sinnbilder der Titelheldin, intensivierten diese Lesart. Escamillo tritt José als glitzernde Gegenfigur mit Sektglas auf rotem Teppich gegenüber. Carmens Pelzmantel signalisiert bereits im ersten Akt ihre Affinität zur glamourösen Welt. Gelungen auch die verschiebbaren Rahmen, die jeweils zentrale Figuren fokussierten.

Einwandfrei die Sängerbesetzung: Kurt Streit überzeugte als schmerzlich liebender Don José, Arpiné Rahdjian als sanfte Micaëla. Abgesehen vom Mangel an bühnenwirksamer Beweglichkeit war auch Nora Gubischs Carmen tadellos. Ebenso Eva Liebau (Mercédès) und Hermine Haselböck (Frasquita). Egils Silins (Escamillo) fiel dagegen stellenweise stimmlich etwas ab. Hervorragend die Grazer Keplerspatzen. Gewohnt professionell, bisweilen jedoch zu sehr im Hintergrund, der Arnold-Schoenberg-Chor.

"Blicke auf Carmen" wirft bis 4. 9.

eine Ausstellung am Landesmuseum Joanneum (Neutorgasse 45, Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung