Karl Lueger: In den Kellern aller politischen Lager

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Über die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings.

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Über die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings.

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Es wird also den Dr.-Karl-Lueger-Ring in Wien bald nicht mehr geben. Die Diskussion darum verläuft - erwartbar - entlang der eingefahrenen ideologischen Linien. Auch ein gelernter Österreicher bedauert dies. Dabei bietet die Auseinandersetzung rund um den Wiener Bürgermeister an der Wende zum 20. Jahrhundert viele Facetten, über die doch lagerübergreifend Konsens erreichbar wäre. Leider stellt sich dies einmal mehr als frommer Wunsch heraus.

Der Streit entzündet sich einmal mehr an der Bewertung von Luegers Wirken: Er war der erste Stadtobere, der sich nachhaltig für die kleinen Leute stark gemacht hat. Er verpasste der damaligen Weltstadt Wien eine moderne Stadtverwaltung. All das und einiges mehr ist natürlich richtig.

Verdienste versus dunkle Seiten

Wie jede Jahrhundertpersönlichkeit hat Lueger auch seine dunkle Seiten. So kann das Wahlrecht, das ihn (im Übrigen gegen den Widerstand des Kaisers) an die Stadtspitze brachte, bestenfalls als vordemokratisch bezeichnet werden. Und sein Aufbau einer effizienten Bürokratie ging auch mit der Bevorzugung von Parteigängern einher: Was man später als "roten Filz“ denunzierte, kann schon gegen Lueger - natürlich auf seine ideologische Couleur gemünzt - ins Treffen geführt werden.

Das alles wäre noch kein Grund, eine nach Lueger benannte Verkehrsfläche mit einem neuen Namen zu versehen. Anders verhält es sich jedoch beim schwärzesten Kapitel der Ära Lueger, dem Antisemitismus. Denn auch wenn dieser von Historikern durchaus differenziert eingeordnet wird, bleibt klar: Karl Lueger hat damit Politik gemacht. Und dran führt bei der politischen Bewertung kein Weg vorbei. Mag ja sein, dass "dieser“ Antisemitismus mehr populistisch bzw. religiös und nicht rassistisch wie etwa bei Georg von Schönerer (ein erbitterter Gegner Luegers) konnotiert war.

Aber angesichts des Unheils, das aus jener Geisteshaltung wenig später erwuchs, erscheint das als Haarspalterei. Wer sich etwa im christlich-jüdischen Dialog engagiert, weiß, dass dieser ein klares Bekenntnis zur Voraussetzung hat, nämlich: Der religiös begründete Antijudaismus ist der Humus, auf dem der politisch-rassische Antisemitismus wachsen konnte. Davon kann und darf Karl Lueger nicht ausgenommen werden.

Keine echte Flurbereinigung

Es ist ja noch schlimmer: Bekanntlich zimmerte zu Luegers Amtszeit in Wien ein verkrachter Kunstmaler sich sein verqueres Weltbild zusammen, das nur Jahrzehnte später in Weltenbrand und Massenmord münden sollte. An der Mitverantwortung Luegers bei der Bereitung des geistigen Nährbodens für den antisemitischen Terror späterer Jahre ist nicht zu deuteln. Von daher ist es zu begrüßen, wenn nun die Universität Wien oder das Burgtheater nicht mehr an einer Straße liegt, die Luegers Namen trägt.

Man mag für diese Position als "Gutmensch“ oder als "politisch Korrekter“ denunziert werden. Aber in Wien geht es bis heute darum, jeden Anschein mangelnder Distanzierung von Antijudaismus hintanzuhalten.

Insofern ist die österreichische Lösung, die Wiens Kulturstadtrat anbietet, keine Flurbereinigung: Denn zum einen gibt es in Wien ja noch andere prominente öffentliche Lueger-Memorabilia. Und - was mindestens so brisant ist - versteckt sich ja auch in anderen Viten von Prominenten, die via Straßennamen geehrt werden, genug historisch Belastendes. Man müsste da - beispielsweise - auch den sozialdemokratischen Reformstadtrat Julius Tandler und seine Forderung nach Vernichtung "unwerten Lebens“ in den Blick nehmen. Es steht also an, auch andere Straßennamen auf ihre Vereinbarkeit mit einem heutigen Geschichtsbild zu überprüfen.

Und das sollte Persönlichkeiten aller Couleurs betreffen. Denn der Antisemitismus schlummert in den Kellern aller politischen Lager.

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