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Marx und Lueger, Urheber und Idee
Die von einer bestimmten ÖVP-Seite kommende Forderung, den Karl Marx-Hof in Wien-Heiligenstadt umzubenennen, ist ebenso abzulehnen wie die vor Jahren von sozialistischen Kreisen laut gewordene, den Dr. Karl Lueger-Platz oder-Ring mit einem anderen Namen zu versehen. Eher schiene es verständlich, würde verlangt, den Dr. Ignaz Seipel-Platz oder die Otto Bauer-Gasse umzubenennen. Denn diese beiden Politiker haben, wenn auch nur mittelbar, Mitschuld am Debakel der Ersten Republik. Doch auch dieses Ansinnen wäre abzulehnen. Man sollte nur dort an Namensänderungen denken, wo Namen Relikte einer Diktatur sind, und diese sind glücklicherweise so gut wie getilgt.
Man sollte sich davor hüten, nachdem man die grausame physische Sippenhaftung des Nationalsozialismus überwunden hat, eine symbolische und pseudohistorische einzuführen. So ist weder Lueger für Auschwitz noch Marx für Stalin verantwortlich zu machen, wenn man den Begriff der historischen Verantwortung nicht ungebührlich ausdehnen will.
Eine historische Persönlichkeit ist vielmehr nur für die von ihr gewollten und vorausgesehenen Folgen ihres Tuns und Lassens haftbar zu machen, nicht aber für Folgewirkungen, die außerhalb ihrer Intentionen und ihres Erwartungshorizontes lagen.
Insofeme brauchen sich weder die Christlich-Sozialen von heute, die nicht nur in der ÖVP
zu finden sind, ihren Lueger, noch die Sozialdemokraten, die auch kein Monopol auf die Verwaltung der sozialen Demokratie haben, ihren Marx nehmen lassen. Sie brauchen sich ihrer Ahnherren und Ahnfrauen nicht zu schämen, sondern können sie im Pantheon der Parteigeschichte, aber auch der Allgemeinheit, belassen.
Das heißt freilich nicht, daß man auch mit den Ideen, die sie in die Welt setzten und denen sie huldigten, so gnädig umgehen darf und muß. Denn wenn Lueger und Marx als Persönlichkeiten auch nicht im entferntesten daran dachten, einem Auschwitz oder einem Archipel Gulag Vorschub zu leisten, so läßt sich doch nicht leugnen, daß sie unfreiwillig Vorarbeiten für Entwicklungen geleistet haben, auf denen skrupellose Nachfahren aufbauen konnten. Der christliche Antisemitismus ist nicht nur dem Grade, sondern auch der Substanz nach etwas vom Rassismus Hitlers Verschiedenes und der Stalinismus ist keine konsequente Fortsetzung, sondern eine Pervertierung des Marxismus.
Doch sie waren beide nicht hinwegzudenkende Voraussetzungen, damit im Kausalprozeß des historischen Geschehens Furchtbares entstehen konnte. Die Trennung der Person von der Sache, des Urhebers von der Idee, in besagten Zusammenhängen ist ein methodisches Postulat, das man, so schwer es im Einzelfall auch ist, nach Möglichkeit durchhalten sollte.
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