Knackpunkt der Kulturen

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Thyssen-Bornemisza Art Contemporary in Wien zeigt Künstler, die die Kamera des Ethnologen umdrehen.

In den 1980er Jahren nahm ein Film den europäischen Blick, der sich als ein ethnografisch-wissenschaftlicher tarnte und in dieser Verkleidung die "wilden" anderen Kontinente betrachteten wollte, gehörig auf die Schaufel. Das Fest des Huhnes zeigt afrikanische Forscher, die sich über die Religion der Stämme Oberösterreichs den Kopf zerbrechen. Als es ihnen mit allen möglichen Tricks endlich gelingt, Zugang zu den scheuen Eingeborenen zu bekommen, rätseln sie darüber, wie es zu dem Übergang vom Verzehr von Fleisch und Blut eines Erlösergottes in Form von Brot und Wein zu jenem von Huhn und Bier kommen konnte. Schließlich waren die Kirchen sonntags leer, die Bierzelte bei diversen Festen hingegen zum Bersten voll. Die europäischen Zuschauer bekamen liebevoll einen Spiegel vorgehalten, der alle nur erdenklichen Klischees und Stereotypen schonungslos aufdeckte.

Stereotype umgedreht

Aus einer ähnlichen Strategie des Rollentausches heraus entstanden die Arbeiten der Ausstellung Shooting Back, die Thyssen-Bornemisza Art Contemporary zurzeit präsentiert. Die 18 Arbeiten von Kunstschaffenden aus Ländern wie China, Kroatien, Serbien, Indien, Tibet, Taiwan und dem Libanon zeichnen sich dadurch aus, dass den Betrachteten die Kamera zurückgegeben wurde beziehungsweise dass diese sich die Kamera geholt haben und nun ihren eigenen Blick festhalten.

Im Zeitalter der Globalisierung besinnt sich der programmatische Titel nicht nur auf die Neuerungen im ethnografischen Dokumentarfilm der 1950er und 1960er Jahre, sondern er zeigt auch, dass es zur scheinbaren Verkürzung der Welt auf ein Dorf ebenso dazugehört, dass sich in diesem Dorf jede Menge unglobalisierter Einzelpersonen und Gruppen aufhalten.

Man kann lange darüber diskutieren, ob ein Blick von außen auf ein kulturelles Feld, der frei ist von hinderlichen inneren Querelen, jenem vom Innenraum dieses Feldes, der allein die ungeschriebenen Gesetze tatsächlich entdecken kann, vorzuziehen ist. Beide Positionen haben viele Pluspunkte, weisen aber auch durch manifeste Nachteile auf. Wie so oft gewährleistet eine Zusammenschau dieser beiden Möglichkeiten den bestmöglichen Zugang. Die in der Ausstellung Shooting Back vorgestellten "Innenblicke" wollen daher durch eine Außensicht, wie sie wohl die meisten Betrachter mitbringen, ergänzt werden. Unter dieser Prämisse ergibt sich jenes Ping-Pong-Spiel denkbarer Identitätsmuster, die uns sowohl als Einzelpersonen als auch als kulturelle Gruppe niemals zu beschäftigen aufhören.

In fünf losen Feldern widmen sich die Kunstschaffenden Überlieferungssystemen kultureller Identitäten. Für Lieder und Geschichten erzählt der Film A Night of Prophecy von Amar Kanwar ebensolche aus mehreren indischen Regionen nach und gipfelt in einer Angstpoesie: "der brennende / Docht in der Lampe / zerschmilzt in Schlaf".

In der Auseinandersetzung zwischen Folklore und Erbschaft taucht Ai Weiwei neolithische Vasen, die zwischen 5000 und 3500 v. Chr. in ihre nach wie vor überzeugende Form gebracht worden sind, in zeitgenössische Industriefarbe: ein Aneignungsverfahren, dass jenes der Musealisierung übersteigen und die Objekte wieder in den ursprünglich vorgesehenen Alltagsbereich eingliedern möchte - und schließlich doch wieder in einem Ausstellungsraum endet.

In der Spannung zwischen Erinnerung und Andenken positioniert sich Sanja Ivekovic´ in ihrem Video Triangle als lebendes Zitat an die kunstgeschichtlichen Vorgaben der Frau auf dem Balkon, der "ausgestellten Frau", und konterkariert ihre Öffentlichkeit mit dem unter dem Balkon stattfindenden Auflauf anlässlich des Besuchs des Präsidenten.

Identität als Aufgabe

Im Übergang von "traditionellem Ritual und Performance" sticht Chen Chieh-Jens Film Lingchi - Echoes of a Historical Photograph hervor. Chen untersucht die Übertragung des Ausdrucks Lingchi, einer öffentlichen grausamen Hinrichtung, die als Tod der tausend Schnitte bekannt ist, in die heutige Verwendung als eine Existenz unter inhumanen Arbeits- und quälenden Lebensbedingungen.

Im Bereich Geschichte und Erinnerung versammelt Mathilde ter Heijne Frauengestalten, die sich in ihrer Zeit über die männlichen Vorgaben hinweggesetzt haben und so von einer anderen Geschichte erzählen. Allemal wird klar, dass Identität kein einmal eroberter Zustand von zur Deckungsgleichheit gebrachten kulturellen Mustern ist, sondern eine Lebensaufgabe, der man sich täglich neu zu stellen hat.

Shooting Back

Thyssen-Bornemisza Art

Contemporary

Himmelpfortgasse 13/2, 1010 Wien

Bis 28. 10. Di-Fr 12-18 Uhr; ab September auch Sa und So 12-18 Uhr.

Katalog: Gabrielle Cram, Daniela Zyman (Hgg.), Shooting Back. Wien 2007, 128 Seiten, € 8,-

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