" ...sonst bringt Dir das Christkind nichts!"

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Christkind oder Christuskind: Was sag' ich meinem Nachwuchs? Bei der Beantwortung dieser Frage treffen Eltern bereits eine grundlegende religiöse Entscheidung.

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Christkind oder Christuskind: Was sag' ich meinem Nachwuchs? Bei der Beantwortung dieser Frage treffen Eltern bereits eine grundlegende religiöse Entscheidung.

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Hast Du es heute gesehen? Kurz bevor die Sonne hinter dem verschneiten Berg untergegangen ist, ist es über unser Dorf geflogen. Mit goldenen Haaren, einem langen weißen Kleid und barfuß war's. Quer über den Himmel war eine Spur silberner Sterne und kurz bevor's verschwunden ist, hat's noch eine goldene Kugel herunterfallen lassen ..." Und siehe da, die alte Frau läßt wirklich eine glänzende Kugel aus ihrer braunen Tasche blitzen. Erstaunt sieht ihr der kleine Bub ins Gesicht: "Echt? Oder ist das ein Märchen?" Verzweifelt versucht er die Wahrheit in ihrem faltigen, klugen Gesicht zu erkennen. Doch vor Weihnachten wird nichts verraten - der Mythos Christkind hat Hochsaison.

"Wer vom Christkind spricht, erteilt dem Jesuskind eine klare Absage und entscheidet sich statt für Geschichte für Idylle", kritisiert Martin Jäggle. Der Religionspädagoge beschreibt eine tiefe Kluft zwischen dem Christkind und dem Jesuskind: "Unterschiede liegen im Alter, in der Beweglichkeit, den Eltern, in der Kleidung und in der Entwicklung - das Christkind wird nicht älter, während das Jesuskind erwachsen wird und am Kreuz stirbt. Der gravierende Unterschied liegt jedoch darin, daß es sich beim Christkind um einen Mythos handelt, während das Jesuskind Geschichte gemacht hat." Außerdem habe das Christkind mit Ungerechtigkeit zu tun. Es kommt - im Gegensatz zum Christuskind - nur zu den Bürgern der Wohlstands- und Konsumgesellschaft. Das Jesuskind hat hingegen am ganzen Weihnachtsrummel und -geschäft grundsätzlich keinen Anteil. Es wurde im einfachen Stall geboren und in Stroh gebettet.

Trotzdem wurde das Christkind zu einer pädagogischen Einrichtung. "Schön brav sein, sonst wird das Christkind nichts bringen!" Wohlverhalten gegen Geschenke - das ist eines der wichtigsten Tauschgeschäfte in der Adventzeit. Im Gegensatz zur Gestalt des Krampusses handelt es sich dabei jedoch nicht um ein Schreckgespenst (siehe Interview mit Jan-Uwe Rogge zur "Angst vor dem Krampus", Furche 49, Seite 6). Die Wirkung des Christkindes liegt in der positiven Belohnung.

Die Illusion währt allerdings nicht lange: "Viele erzählen von der massiven Enttäuschung darüber, daß es in Wirklichkeit gar kein Christkind gibt", berichtet Jäggle. Durch derartige Erzählungen verlieren die Erwachsenen - besonders die Eltern - an Glaubwürdigkeit. Und das gilt dann nicht nur für das Christkind, sondern ebenso für die Geschichte von Jesus und andere Erzählungen, die im naturwissenschaftlichen Sinne nicht nachweisbar sind.

"Bei der grundlegenden Frage Christ- oder Christuskind müssen sich Eltern entscheiden, ob sie mit ihrem Kind in die Zukunft hineinwachsen, oder ob sie in die Vergangenheit, die eigene Kindheit zurückkehren wollen", fordert Jäggle die Erwachsenen auf. "Das Christkind hat keine Zukunft. Im Gegensatz dazu können Erzählungen vom Christuskind auf eine Geschichte zurückgreifen und damit auch Hoffnung geben." Es gehe jedoch nicht darum, Weihnachtstraditionen zu zerstören oder Kindern bestimmte Abläufe und Inhalte aufzuzwingen, meint Jäggle: "Man soll immer das erzählen, wozu man selbst Zugang hat."

Eine märchenhafte Kindheit - schön. Viele Erwachsene vergessen dabei aber die Hintergründe, die sie mit Christkind-Geschichten vermitteln: Wo liegt ihr Wahrheitsgehalt? Welche Hoffnungen vermitteln sie?

Aber selbst wenn man sich jahrelang bemüht hat, nicht in "Lügengeschichten" hineinzurutschen, immer von Christi Geburt im ärmlichen Stall erzählt hat, und plötzlich taucht der Dreikäsehoch auf und fragt: "Wann kommt denn endlich das Christkind?" Was dann?

Für das Gespräch mit Kindern empfiehlt Religionspädagoge Jäggle: "Geben wir den Kindern die Gelegenheit, zu erzählen, was sie selbst vom Christuskind wissen, was es ihnen bedeutet, was ihnen daran wichtig ist." Aus diesen Erfahrungen können dann persönliche Hoffnungen herausgefiltert und gestärkt werden - jedoch ohne die traditionelle Verbindung zur Zaubergestalt mit dem goldenen Haar. Die Wortwahl "Christus- oder Jesuskind" läßt die Kleinen ebenso aufhorchen. "Das Christuskind gibt es wirklich."

Doch wenn nicht vom Christkind gesprochen wird, woher kommen dann die vielen Geschenke? Wer schmückt den Christbaum?

Geheimnisvolle Vorhänge, verschlossene Türen und das Verbot, in den mütterlichen Schrank zu blicken, zählen zu den deutlichen Anzeichen, daß das Weihnachtsfest immer näher rückt. Doch: "Jede Form des Fernhaltens erschwert den Aufbau religiöser Haltungen", spricht sich Jäggle gegen dieses übliche Elternverhalten aus. Das "Mittunkönnen" sei ein grundlegendes Merkmal religiöser Erziehung. Vor allem zur Weihnachtszeit bieten sich hervorragende Möglichkeiten. Ob beim Herrichten der Krippe, beim Keksebacken oder auch beim Schmücken des Christbaumes. "Ebenso wie ein Nikolaus nichts an Faszination einbüßt, wenn er sich bereits vor den Kindern verkleidet, garantiert auch das Leuchten der Christbaumkerzen Überraschung, obwohl schon beim Schmücken mitgeholfen wurde", betont der Pädagoge.

Also gut: Das oft erfundene Christkind, mit goldenem Engelshaar, strahlend weißem Kleid und der vielversprechenden Glocke gibt es nicht. Vielmehr steht auch für die Kleinsten das Jesuskind im Mittelpunkt. In Windeln gewickelt, ohne kunstvolle Kleidung liegt es in der Krippe: Woher kommen trotzdem die tollen Geschenke, die sich Jahr für Jahr immer höher unter den Christbäumen häufen? "Bei uns zu Hause", erinnert sich Jäggle an seine Kindheit, "haben wir immer gemeinsam ein Familiengeschenk hergerichtet. Mein Vater hat dieses Packerl dann jemandem gebracht, der es dringend nötig hatte. Zu feiern haben wir erst begonnen, wenn das Familiengeschenk ausgeteilt war." Geschenke sollten also nicht auf den Bereich der Familie und den Geber konzentriert sein. Im Geben äußern die Menschen ihre Weihnachtsfreude - die gemeinsame Freude über den Beginn einer neuen Zeit. Dabei komme vor allem den Pfarren eine besondere Bedeutung zu. Ihre Aufgabe sei es, Formen der Weihnachtsgestaltung zu finden, die allen Weihnachten ermöglicht. Wenn jeder fröhlich ist und feiern kann, dann verliert die Herkunft der Geschenke an Bedeutung. Erst in diesem Bewußtsein bekommen die Geschenke ihre eigentliche Aufgabe zurück. Besonders in Sachen Bescherung betont Jäggle deshalb den Grundsatz: "Weihnachten müssen alle feiern können, sonst kann sich niemand daran erfreuen."

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