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Glocken locken

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HIER DER KREDITBRIEF, MEIN HERR. Und hier Ihre Lohnbestätigung retour. Nur noch eine kleine Unterschrift. Hier und hier und hier. Die X-Kopie ist nicht recht leserlich. Bitte, hier noch einmal! Wir danken Ihnen und wünschen ein frohes Fest. Nehmen Sie ruhig einen Kalender mit!

Selbstverständlich, meine Dame. Aęhtzehn Monatsraten, das geht in diesem Fall ohne weiteres.

Haben Sie den Radioapparat schon gewählt, mein Fräulein? Nein? Am besten, Sie bemühen sich erst in unsere Radioabteilung und kommen dann wieder zu mir.

Haben Sie eine Lohn- oder Gehalts-' bestätigung bei sich? Bitte, da können wir Ihnen einen Eigenkredit von zweitausendfünfhundert Schilling einräumen.

Eine Waschmaschine? Bitte, Ihre Lohnbestätigung!

Der Nächste! Bitte, der Nächste! Wer war früher da, die Dame oder der Herr? Womit kann ich Ihnen dienen? Ein Fernsehgerät auf zwölf Monatsraten? Bitte, füllen Sie diesen Antrag aus, mein Herr!

Vorweihnachtlicher Hochbetrieb im Teilzahlungsgeschäft. Doch bei den Dingen, die man vor Weihnachten auf Raten ersteht, handelt es sich vorwiegend um Anschaffungen, die man einige Monate früher oder später so und so getätigt hätte. Möbel. Küchengeräte. Waschmaschinen und Kühlschränke. Radios. Staubsauger. Und Fernsehgeräte. Vor allem Fernsehgeräte.

Das Christkind schenkt heute praktisch. Innerhalb der Familie schenkt es praktisch. Fremden schenkt es repräsentativ. Kann man da überhaupt noch von Schenken sprechen?

FAST WÄRE HEUER DIE MARIAHILFER STRASSE um ihre Weihnachtsstimmung gekommen. Fast wären die großen Girlanden mit den Sternen und den lausenden Glühbirnen heuer nicht aufgehängt worden. Denn die ach so stimmungsvolle Dekoration der Mariahilfer Straße kostet ziemlich viel Geld, Jahr für Jahr. Da wollte ein Teil der Geschäftsleute nicht mehr mitmachen.

Doch die Girlanden und die Glühbirnen und die Sterne auf der Mariahilfer Straße sind „Tradition". Heutzutage wird etwas schnell zur „Tradition“. Und einer „Tradition“ darf man doch nicht untren werden. Vor allem, wenn sie Leute auf die Mariahilfer Straße lockt. Leute auf der Mariahilfer Straße bedeuten Käufer.

So kam sie auch heuer wieder zu fhrer Festbeleuchtung. Und in den Warenhäusern drehen sich die Dekorationen mit den Engerln und mit den Weihnachtsmännern, und das Christkindlein reitet auf einem Rehlein, es kann auch ein Hirschlein sein, und zieht einen Schlitten, und auf dem Schlitten türmt sich ein hoher Berg geschmackig verschnürter Päcklein, und die Päcklein enthalten Geschenke, teure und repräsentative Geschenke natürlich, und die sind das wichtigste.

Und die Weihnachtsglocken läuten, dumpf und voll, bambambam, und kleine helle Weihnachtsglocken bimmeln dazwischen, bimmbimmbimm,

und das Tonband läuft immer wieder von neuem ab, acht Stunden irrt Tag läuten die Weihnachtsglocken und werden nur abgestellt, wenn Sperrstunde ist. Und das vier Wochen lang.

Dabei handelt es sich um jene vier Wochen, die Advent heißen und von den Christen als die Dämmerzeit vor der wunderbaren Geburt des KINDES verstanden werden. Doch das i t vom kaufmännischen Standpunkt aus nur ein Zufall.

Während die alljährlichen Mahnungen, zu Weihnachten nicht in einen Rausch des Geldausgebens zu .verfallen, sondern sich lieber zu besinnen und es darauf ankommen zu lassen, ob man Sich auch ohne nickelglänzenden, plastikverkleideten, serienproduzierten, mit einer Ratenverpflichtung behafteten Anlaß auch noch zu freuen vermag, vom kaufmännischen Standpunkt aus fast schon Sabotage darstellen.

ICH BIN DER WEIHNACHTSMANN und schwitze unter meinem langen, weißen Bart, eigentich bin ich Student, aber in der Zeit vor Weihnachten verdiene ich mir als Weihnachtsmann im Warenhaus was dazu. Ich nehme die Wünsche der Kinder entgegen, und die Eltern stehen da neben und hören zu, so kommt das Weihnachtswunder zustande. Was sich die Kinder alles wünschen! Und mit welcher Selbstverständlichkeit sie alles bekommen!

Ein Auto? Einen Teddybären, aber so groß wie du? Ein Douglas-Flugzeug mit vier Triebwerken zum Aufziehen und mit Positionsbeleuchtung? Einziehfahrwerk Selbstverständlichkeit? Ich werde es dem Christkind sagen. Eine Lokomotive mit Overdrive? Ich werde es dem Christkind ausrichten. Einen Matadorbaukasten Nummer fünf mit Zähnrad fgänzüng? E¥Ä Puppen ' haus mit Wasserspülung?

Ihr ' stid tirave Kinder, brav und wohlerzogen. Systematisch zum Wünschen und zum Kaufen erzogen, und wer etwas dagegen sagt, will unsere Wirtschaft ruinieren und ist überhaupt ein Schädling.

Ich verteile Bonbons an die Kinder und komme mir, schwitzend unter meinem langen, weißen Bart, als übersinnliches Wesen komisch vor. Wie sie einen anstaunen! Sie glauben noch . . .

GROSSES INSERAT ÜBER DIE GANZE SEITE. Blickfang, fettgedruckt: ..Auf der Sonnenseite des Lebens ...“ Sonnenseite zieht immer. Drunter geht’s kleiner weiter: „Wollen auch Sie auf der Sonnenseite des Lebens sein? Fernseher leben auf der Sonnenseite

Wenn es auf Weihnachten zugeht, bekommt das Inserat eine Umrahmung aus Tannenzwergen.: Der Hinweis auf die lieben Familienmitglieder, die sich über das Fernsehgerät freuen werden, ist ohnehin schon im Text.

Wenn das Weihnachtsfest bevorsteht, kommt in der Auslage der Parfümerie ein Tannenzweiglein auf den Nagellack und eines auf das Rasierwasser. Wenn das Weihnachtsfest bevorsteht, streut der Elektrohändler Flitter auf seine Radios, und der Pelzhändler steckt ein Engerl auf das Preisschild mit der fünfstelligen Zahl. Engerln sind immer gut.

Und Werbesprüche, wie „Männer nehmen nur..." oder „Keine Frau ohne ...“, bekommen vorweihnachtliche Durchschlagskraft durch Hinweise, wie „Das passende Geschenk für ihn (sie)!“ oder „Kein Gabentisch ohne Seife!“.

Denn was der Mariahilfer Straße recht ist, muß der kleinen Vorstadtgasse billig sein, und der Weihnachtsrummel der Großkaufhäuser ist das glöcklioherw4ise "Unerreichbare Vorbild noch des letzten kleinen Greißlers.

Nur das Licht der Christnacht hat es immer schwerer, sich gegen das der Glühbirnen, der Girlanden, der Schaufensterdekorationen durchzusetzen.

DER ADVENT EXISTIERT NUR NOCH FÜR DIE BLUMENGESCHÄFTE, die Adventkränze verkaufen. Ansonsten wurde er aus dem kaufmännischen Terminkalender gestrichen. Man veranstaltet zwar, einem Appell des Oberhirten von Wien folgend,, vor Weihnachten keine „Heiligen Abende“ in Serie für Kinder mehr, aber für die Erwachsenen muß vier Wochen lang Heiliger Abend sein, sonst kaufen sie am Ende wenig Geschenke. Dem Licht der Weihnacht wurde das Dunkel des Advents genommen — und damit der Sinn. Das Fest wurde zum Jahrmarkt gemacht.

Weihnachtsstimmung, monatelang organisiert, vorbereitet, vorfabriziert und gehortet, wird vier Wochen lang konzentriert auf das Publikum losgelassen. Für die Christen ist noch Advent, aber der Jahrmarkt droht auch ihre altmodische Form der Vorweihnachtsstimmung hinwegzuschwemmen. Wenn er sie nicht schon hinweggeschwemmt hat. Denn der Kommerz regiert. Und der Kommerz ist stärker als alles andere.

Wenn die Weihnachtsglocken dann wirklich läuten, schmerzen uns die Ohren seit Wochen von Weihnachtsglocken aller Tonhöhen und Preislagen. Wenn der Christbaum angezündet wird, haben wir seit Wochen genug von brennenden Kerzen. Wenn „O du selige . . .“ gesungen wird, sind wir seit Wochen mit Weihnachtsliedern überfüttert.

Am 27. Dezember werden die Glocken und die Engel aus Papiermache weggeworfen und die Glühbirnen ausgeschraubt und aufgehoben fürs nächste Jahr. Und die Kasse wird umgedreht und das Geld gezählt. lahr für Jahr.

Und es wird immer mehr Geld, Jahr für Jahr.

Nur der Mensch hat es immer schwerer, Weihnacht zu erleben.

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