Die lauteste Zeit des Jahres

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"Gestiegener Umsatz" heißt die weihnachtliche Frohbotschaft heute, und ihr passendes Symbol ist der Weihnachtsmann.

Da spricht man von der stillsten Zeit des Jahres. Darunter verstand man Advent und Weihnachtsfest. Inzwischen ist es die lauteste Zeit des Jahres, nicht nur in Warenhäusern. Würde man einmal als Fremder dieser sonderbaren Kultur nach Wien kommen, es kann auch Düsseldorf, Marseille oder Mailand sein, käme man bei nur geringfügiger ökonomischer Ausbildung zu der Einsicht, es muss einmal eine sozialpartnerschaftliche Regelung gegeben haben, um diese Zeit des wirtschaftlichen Stillstands zu überbrücken oder gar zu beleben. Ruhe zu beleben, ist ja heute ein beliebtes Schlagwort bemühter Regionalpolitiker und sie fürchten nichts mehr als diese Stille, wie sie es einmal gegeben haben soll. Natürlich erinnern sich unsere fleißigen Wirtschaftspolitiker an die Erzählungen von Peter Rosegger, die sie vielleicht an Winterabenden gelesen haben, aber im Grunde sind sie froh, dass das vorbei ist. Im Warenhaus brüllt "Stille Nacht" aus allen Lautsprechern, um sie zu verhüten und unser reisender Fremdling käme zu der Ansicht, Ruhe und Beschaulichkeit wären so gefürchtet wie in animistischen Religionen Geister und Hexen.

Mit Spannung wartet man auf die eigentliche Frohbotschaft, die allerdings erst nach Weihnachten verkündet wird: gestiegener Umsatz, höherer Gewinn. Da man also Weihnachten der Kooperation von Handelsunternehmungen und Gewerkschaften der kaufmännischen Angestellten verdankt, haben sich auch die Symbole verändert. In Zeiten des Wohlstandes ist auch ein Kleinkind in der Krippe, schlecht bekleidet und ohne feste Unterkunft nicht wirklich passend, sondern gemäß der paritätisch besetzten Kommissionen gilt der Weihnachtsmann als geeigneteres Merkmal: Das ist ein großer, roter Mann mit Karl Marx-Bart, der die Sozialpartner hervorragend repräsentiert. Er könnte sowohl den alten Bildern tüchtiger Industrieller entnommen sein wie vergilbten Photos von Gewerkschaftsgründern.

Der Weihnachtsmann ist daher in jedem Geschäft und Warenhaus anzutreffen. So er in Verkleidungen auftritt, ist er wegen der Kälte zumeist alkoholisiert und ist hervorragend in die allgemeine Stimmung rund um die zahllosen Punsch-Hütten integriert. Da sind ja nahezu alle betrunken und jeder Festrausch dient gleichzeitig einem wohltätigen Zweck. Da trinkt man als sozialer Mensch eben mehr als üblich und nötig. In den Stadtzentren umarmen einander die Menschen im Vollrausch, das ist die Weihnachtsstimmung, schwärmen davon, zu leben und leben zu lassen und sollte es noch irgendwo Kirchen geben, liegen sie im dunklen Schatten der Weihnachtsbeleuchtungen und aufdringlichen Reklamen. Und der Weihnachtsmann lehrt uns, dass bei drohender sinkender Wertschöpfung die Läden einfach länger geöffnet bleiben müssen, Feiertage nicht mehr diese antiquierte Form geschlossener Geschäfte haben dürfen, ja das Ziel sollte sein, rund um die Uhr und das ganze Jahr müsse der Handel eine Weihnachtsstimmung in Permanenz entwickeln, damit die Wirtschaft lebt. Ob dann Menschen auch noch "leben", ist nicht das wirkliche Problem, da wir dank der Frohbotschaft des Weihnachtsmannes endlich daran glauben, dass wir alle die Wirtschaft sind.

Vergessene Trademark

Angesichts dieser eindrucksvollen Entwicklung, der wir unseren Frohsinn verdanken, fragt sich unser Fremder in der Stadt, wieso der Weihnachtsmann so wichtig werden konnte? Und er findet schnell eine Antwort: Die Sorge, die Kirche würde einmal Tantiemen für die Verwendung christlicher Symbole fordern, ließ uns in Erwartung einer Klage die Symbole wechseln. Diese Engel und Glocken, das Christkind und Maria, diese drei Könige und der Stern würden als Handelsmarke der Kirche geschützt sein und es könnte geschehen, dass die Kirche entweder den Schutz dieser Marke fordert, oder aber eine Ablöse. Diese merkwürdige Interpretation unseres Fremdlings liegt allerdings in Kenntnis der amerikanischen Rechtssprechungen auf der Hand. Der Fremde überlegte sich beim Spaziergang, dass wohl die Einnahmen aus solchen Tantiemen inzwischen mehr einbrächten als selbst die Kirchensteuer. Und er wunderte sich, dass es die Kirche noch nicht getan hatte. Er verstand nicht, dass sich die verbliebenen Christen damit abfinden, dass sie zwar noch für die Kenntnis und ökonomische Bedeutung ihrer Symbole stehen, aber keine Abfindung verlangen. Er fragte sich besorgt, ob etwa die letzten Christen nicht ebenfalls die Bedeutung ihrer Symbole vergessen haben? Wissen also die Christen noch etwas von Weihnachten?

Er war sich beim Weg durch die Stadt nicht sicher. Natürlich, eben ein gebildeter Fremder, schlug er in einer Buchhandlung in den Reden des Papstes Leo I. nach. Da fand er eine Weihnachtspredigt in der 23. Ansprache, in der der Papst vor über 1.500 Jahren gesagt hatte: "Die Dinge, die sich auf das Geheimnis der heutigen Festfeier beziehen, sind euch zwar bekannt, aber gerade so, wie das sichtbare Licht ungeschwächten Augen angenehm ist, so bereitet auch die Geburt des Erlösers, von der wir nie schweigen dürfen, gesunden Herzen immer Freude." Da wunderte sich unser Fremder, denn er sah diese Freude nicht, so viel er auch die Gassen auf und ab ging konnte. Er sah diese Freude auch nicht in den Kirchen, sondern, so er sich in der abendlichen Finsternis im Kirchenschiff einigen Christen näherte, stritten sie und wusste diese Auseinandersetzungen nicht zu deuten. Da debattierte man über Demokratisierungen, über bischöfliche Briefe, wer sie las und wer sie nicht gelesen haben soll, oft fiel das Wort "Salzburg" oder "St. Pölten", doch der Fremde verstand das alles nicht.

Er kam zum Schluss, dass der Weihnachtsmann offensichtlich das geeignetere Symbol selbst für Christen wäre. Der Weihnachtsmann wäre doch unbestritten und eine Integrationsfigur. Der Fremde wäre bei dieser Meinung geblieben, hätte er nicht beobachtet, wie ein alter, kleiner Mesner mit Hingabe und rührender Sorgfalt eine Krippe mit Moos auspolsterte und vorsichtig ein holzgeschnitztes Kind darin hineinlegte. Darüber hatte er sich sehr gewundert. In dem alten Mesner glaubte er einen echten Christen zu erkennen. An diesem vollzog sich ein kleines Weihnachtswunder von gleicher Güte, von der einmal Leo I. gesprochen hatte. So unser Fremder ins Hotel zurückkehrte, wird er gewiss diese Beobachtung aufgeschrieben haben. Dieser Mesner wird wohl der einsame Vertreter jener Völker gewesen sein, die es einmal gegeben hatte, von denen David im Psalm sagte: "Alle Völker, die du geschaffen hast, werden kommen und beten vor dir, o Herr ..."

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