Das Christkind, ein Globalisierungsverlierer

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Vorletzter Einkaufssamstag in der Wiener Lugner City. Das ist Brutalität, würde Helmut Qualtinger sagen. Und er hätte sehr Recht damit. Schaffte man es, kurz in der Menschenmenge inne zu halten und übers Geländer auf den großen Platz des Zentrums zu schauen, würde man sehen, wer heute "weihnachtstechnisch" das Sagen hat. Sechs lebensgroße Plastikweihnachtsmänner seilen sich da von der Decke ab. Klassisch sehen sie aus: dick, korrekt adjustiert mit der roten Mütze und ebensolchem Kurzmantel sowie schwarzem Gürtel und Stiefeln. So sieht Weihnachten heute aus. In Ottakring wie in Oklahoma.

Nur für die Älteren ist Weihnachten noch gleich Christkind, das, so hat es mir meine Großmutter noch erzählt, die Geschenke bringt. Sie habe es mit eigenen Augen gesehen, beteuerte sie. Damals, als sie selbst noch ein kleines Mädchen war. Durch die Dachluke sei es entschwunden. Die Dachluke, die ihr Vater extra einen Spalt breit geöffnet hatte, um dem damaligen kleinen Mädchen die Illusion zu geben. Doch das ist lange her.

Heute stapft der bärtige Sympathieträger mit dem großen Geschenksack zuckerlverteilend jede drittklassige Geschäftsstraße auf und ab. Es scheint fast, als habe der Weihnachtsmann das Christkind zumindest als Symbol für Weihnachten längst verdrängt.

"Das Christkind ist ein echter Globalisierungsverlierer", meint Barbara Stöttinger vom Institut für Internationales Marketing an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Sie beschäftigt sich mit dem Kampf von Produkten und Dienstleistungen um die Konsumenten. Ihre Analyse ist eindeutig: "Der Weihnachtsmann hat mit seiner Marktmacht aus den USA das Christkind einfach überrollt." Was macht nun ein Unternehmen, wäre es in der gleichen Lage wie das Christkind? Ihrer Meinung nach habe das Christkind, wollte es wieder auf dem "Markt der Kinder" reüssieren, zwei Möglichkeiten. Es könnte sich auf sein Leben als Nischenprodukt zurückziehen und auf jene Großen und Kleinen hoffen, die noch immer daran glauben. Nicht sehr aufregend, so ein Nischendasein. Oder, ja oder: "Es schlägt zurück."

Image-Problem Wie könnte das funktionieren? Das Problem, meint die Marketingexpertin sei das Image des Christkinds. "Die Konsumenten haben ein völlig diffuses Bild, was das Christkind eigentlich ist". Was ist es wirklich? Ein Kind? Ein engelsgleiches Wesen? Golden oder eher weiß? Mit oder ohne Lichterschein? Da hat es der Weihnachtsmann mit seinem einheitlichen Äußeren natürlich leichter. "Standardisierte Produkte sind immer leichter zu verkaufen."

Es hilft also alles nichts. Ein "Relaunch" des Produkts "Christkind" muß her.

Der Erfolgs des Weihnachtsmanns erinnert die Expertin frappant an die Marketingstrategie von McDonalds in Österreich. "Die haben auch am Anfang große Plakate mit Burgern gehabt, damit die Leute lernen, was ein Burger ist." Ähnlich sei es jetzt mit den Weihnachtsmännern, die in Heerscharen herumlaufen.

Amerikanisierung Wenn das Haddon Sundblom geahnt hätte. Der Amerikaner hat nämlich im Jahr 1931 für eine Coca-Cola-Werbekampagne den Weihnachtsmann in seinem jetzigen Outfit erstmals gemalt. Sein "Modell", der Urweihnachtsmann quasi, war übrigens der Vertreter Lou Premrice (Hoffen wir für ihn, dass die rote Nase der künstlerischen Freiheit Sundbloms entspringt und nicht seinem Flachmann). Die Tradition ist natürlich eine europäische Erfindung und wurde von Holland aus in die USA exportiert, als für den großzügigen Heiligen nach den Reformen Martin Luthers kein Platz mehr war.

Und wie geht's mit unserer heutigen Weihnachtskultur weiter? Werden wir neben dem rotnasigen Rentiertreiber auch anderer amerikanische Weihnachtsbräuche übernehmen? Etwa das Feiern erst am 25. Dezember, statt - wie bei uns üblich - am Heiligen Abend? Doch da winkt Stöttinger ab: "Wir ändern unser Verhalten bei peripheren Dingen viel leichter als bei zentralen." Und was könnte es zentraleres in unserer Kultur geben als die Weihnachtsfeier am Heiligen Abend? Auch die jungen Menschen, die schon ganz in der amerikanisierten Kultur aufwachsen, dürften diese Tradition nicht so rasch über Bord werfen.

Zusätzliche Rituale könnten aber schon übernommen werden. "Die Menschen ,sampeln' heute aus verschiedenen Kulturen." Ein Beispiel dafür ist etwa das ur-amerikanische Halloween-Fest am 31. Oktober, das sich langsam auch bei uns festzusetzen beginnt.

Doch zurück zum Einkaufssamstag in der Lugner City. Unter den kletternden Weihnachtsmännern hat "Harry Bonanza" nebst Band Aufstellung genommen. Der Country-Barde gibt einen Gassenhauer nach dem anderen. "Rudolf, the red nosed Reindeer" oder "Santa Claus is coming to town" spielt die Band. Die Leute wippen im Takt mit. Unsere Weihnachtslieder gehen scheinbar niemandem ab. "Gleich geht's weiter mit Xmas-Songs", lockt Harry.

Aber die Hoffnung ist da, dass unter dem Weihnachtsbaum doch noch ein "Stille Nacht" erklingt. Der einzige "Christmas-Hit", übrigens, der von Österreich aus Amerika erobert hat. Mit englischem Text, natürlich. "Silent night! Holy night! All's asleep, one sole light. Just the faithful and holy pair. Lovely boy-child with curly hair. Sleep in heavenly peace!"

Na dann: A Very Merry Christmas to you!

Ende der Serie

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