Terrain eines unheiligen Streits

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Die Westmauer des früheren Tempels in Jerusalem ist ein heiliger Ort, vor allem fürs Judentum -und ein Ort des Streits, besonders seit dem Sechs-Tage-Krieg vor 50 Jahren. Seit der Eroberung Ost-Jerusalems durch die israelische Armee im Juni 1967 und dem Abriss von Gebäuden, die unter jordanischer Herrschaft davor errichtet worden waren, haben Juden wieder freien Zugang zur "Klagemauer".(Der Begriff ist verzerrend. Er reduziert das Judentum auf eine Religion der Klage um den Tempel, um dessen Wiederaufbau nur eine kleine Minderheit betet.) Was die Beter sich erhoffen, schreiben sie auf Zettel, die sie in die Mauerritzen stecken. Weil der Glaube an die Wirkung solcher Gebete groß ist, kann man sie auch per E-Mail und Fax übermitteln; das Geschehen vor Ort lässt sich zudem per Webcam verfolgen.

Wer selbst kommt, betritt ein Terrain vielfachen, unheiligen Streits. Männer und Frauen haben Zugang nur in streng getrennten Bereichen. Das Recht von Frauen, Gottesdienste mit Tora-Lesung zu feiern, wird von der in Israel mächtigen Orthodoxie in Frage gestellt. Oberhalb der Mauer beten Muslime an einem für sie heiligen Ort, im Felsendom und in der al-Aksa-Moschee. Diese Nähe führt zu Konflikten, die auch politisch sind. Der Anspruch Israels auf ganz Jerusalem bleibt umstritten, besonders dort. Umso größer war Ende Mai die Aufmerksamkeit, als Donald Trump als erster amtierender US-Präsident die Mauer besuchte; seine Tochter Ivanka tat dies im Bereich für die Frauen.

Nach jüdischer Tradition zeigt man seine Ehrfurcht vor dem heiligen Ort, indem man der Mauer nie den Rücken zukehrt, sondern sie im Rückwärtsgang verlässt. Etwas mehr Demut aller Beteiligten würde politische Konflikte nicht lösen, sie aber entschärfen. Dann könnte man religiös und politisch den Vorwärtsgang einlegen.

Der Autor ist Wissenschafter am Institut für Jüdische Theologie der Universität Potsdam

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