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Ein unverdächtiger Zeuge

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Nicht um nach der Premiere im Volkstheater als Autor vor den Vorhang zu treten und sich feiern zu lassen, sondern um die Aufführung seines Stückes „Die schmutzigen Hände“ zu verhindern, war Jean-Paul Sartre nach Wien gekommen, und während im Volkstheater die Generalprobe abgehalten wurde, veranstaltete Sartre in einem großen Hotel einen Presseempfang mit der Absicht, sein merkwürdiges Verhalten plausibel zu machen. Sartre bezog sich hierbei auch auf die Vorgeschichte der bevorstehenden Volkstheaterpremiere. Schon 1952 wollte das Parkring-Theater die „Schmutzigen Hände" spielen. Der Autor war damals gerade zum Weltfriedenskongreß in Wien, sprach sich gegen die Aufführung aus, bot ein Ersatzstück an — und setzte seinen Willen durch. Das Stück wurde nicht gegeben. Grund — damals wie heute —: Sartre desavouiert sein Stück nicht, aber es handle sich um die Darstellung eines inzwischen beigelegten internen Konfliktes, das Stück werde überdies falsch interpretiert, vor allem aber ist er dagegen, daß „Die schmutzigen Hände“ an einem so „neuralgischen Punkt“ der Weltpolitik wie Wien zur Verschärfung des Konfliktes zwischen Ost und West beitrage.

Nun: wie immer man auch das Theaterstück interpretieren mag und welches auch die Gründe sein mögen, die Sartres intransigente Haltung bestimmen: hier wurde ein ernstes Problem angeschnitten. Gelten nur die erfüllten Verträge (in diesem Fall die finanzielle Abfindung des Europa-Verlages in Zürich durch die Direktion des Volkstheaters) oder bleibt dem Autor das „moralische Recht“, über Aufführung oder Nichtaufführung eines Stückes in letzter Instanz zu bestimmen? Aber gerade in diesem Punkt ist Sartres Plädoyer nicht ganz klar. Andernorts nämlich läßt er sein Stück spielen. Nur an den neuralgischen Punkten Europas, Berlin und Wien (damals zur Zeit des Weltfriedenkongresses und jetzt vor den Wahlen), will er sein Stück nicht aufgeführt wissen. So erwächst uns in Mr. Jean-Paul Sartre ein höchst merkwürdiger Zeuge. Denn Herr Sartre weiß genau so gut wie wir, daß man diesen „neuralgischen Punkt“ sehr leicht in einen Stützpunkt, ja geradezu in einen Sanitätspunkt Europas und der Welt verwandeln könnte. Wenn man ihm nämlich seinen Rang als Hauptstadt eines freien Landes endlich zurückgeben würde.

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