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Begegnungen mit Franzosen

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Noch vor wenigen Jahren waren sich Österreicher und Franzosen in Uniformen begegnet; nun traf man sich wieder in Zivil, verbunden nicht nur durch das gemeinsame Erlebnis des Krieges und der Nachkriegszeit, sondern auch durch ein gemeinsames Berufsinteresse. Etwa hundert Mittelschulprofessoren — zur Hälfte französische Germanisten, zur Hälfte österreichische Romanisten — waren durch den Leiter der Unterrichtsabteilung der Division des Affaires Culturelles, Mr. Chastęl, für drei Wochen nach Längenfeld in Tirol eingeladen worden. Kleine Arbeitskreise an den Vormittagen, Vorträge in deutscher und französischer Sprache, gemeinsames Wohnen, Mahlzeiten und Ausflüge ermöglichten jenen persönlichen Kontakt, der vielleicht noch wertvoller war, als der Austausch von Fachwissen und die Auffrischung der Sprachkenntnisse. Im Rahmen der beiden Veranstaltungsreihen wurden uferlose weltanschauliche und politische Debatten vermieden und die sich an die einzelnen Übungen anschließenden , Diskussionen waren stets sachlich und um ein bestimmtes, ausschöpfbares Thema zentriert.

Sehr erfreulich war es, wieder einmal den gründlichen französischen Textinter- pretationen beiwohnen zu dürfen. Im Unterschied zu den Deutschen nämlich, die eher geneigt sind, einen poetischen Text, etwa ein Gedicht, als unanalysierbares, Organisches Ganzes mehr ‘stimmungsmäßig auf sich wirken zu lassen, behandeln die Franzosen auch die neuere und zeitgenössische Literatur etwa wie wir die lateinischen oder althochdeutschen Denkmäler. Nach genauer philologischer Interpretation .versucht man, die Bilder, Metaphern usw.’ genauestens ZU deuten, und man trägt keine Bedenken, die kritisch-analytische Sonde bis ins Herz des Kunstwerks vorzutreiben. Die Ergebnisse dieser Methode sind — etwa bei der luj rpreta.tion der esoterischen Gedichte Paul Valerys — erstaunlich, und die französische Methode verdient sowohl in den oberen Klassen der Mittelschulen, besonders aber in den germanistischen Seminaren größte Beachtung.

Von besonderem Interesse war der Arbeitskreis, in welchem unter der Leitung von Professor Granddidier das letzte Drama von J. P. Sartre, „Les mains sales“, gelesen wurde. Natürlich gab es, daran anschließend, lebhafte Debatten im kleinen Kreis und unter vier Augen über existentia- listische Kunst und Philosophie. Auf das Gebiet der letzteren begeben sich die Franzosen nicht gern, und Zwar nicht nur deshalb, weil Sartres philosophisches Hauptwerk „L’Etre et le Neant" zwar eines der meistgenannten, aber am wenigsten gelesenen neueren Bücher Frankreichs ist, sondern vor allem, weil man Sartre insgeheim für einen , fumistc“, einen Schaumschläger, hält. Ein ehemaliger Mitschüler und Kollege Sartres auf der Universität erzählte mir, daß sich Sartre immer schon ein Vergnügen daraus gemacht habe, sich möglichst unverständlich auszudrücken, und daß er stets auf der Suche nach neuen Überraschungen für seine Kollegen war. Er habe zweifellos das Zeug dazu, die öffentliche Meinung in Atem zu halten, und in der Tat konnte er auch mit seinem letzten Theaterstück, „Les mains sale s“, einen Sensationserfolg in Paris erzielen. Das ist njeht verwunderlich, denn dies Theaterstück ist von einem Schriftsteller geschrieben, der die Wirkungen des Theaters gena kennt und glänzend zu nützen versteht. Elemente des Supernaturalismus verbinden sich darin mit denen des Kriminalreißers und des Maeterlinckschen Stimmungsdramas zu einer unwiderstehlichen Synthese, und auch die dialektische Führung des Dialogs ist bemerkenswert. Sartre Wirkung als Dramatiker erklären seine Landsleute zum Teil durch seinen ilhisionslosen Realismus, der als notwendige Reaktion gegen den unwirklichen, ja geradezu euphorischen Charakter der französischen Literatur zwischen 1918 und 1938 aufgefaßt wird. Man kann annehmen, daß Sartre zumindest auf dem Gebiet des Theaters noch große Erfolge haben wird. Weniger zuversichtlich ist man im Hinblick auf Sartres politische Chancen. Schon seit längerer Zeit wartet man nämlich darauf, daß er eines Tages zur „action directe“ übergehen werde. Nun hat Sartre unter dem Namen „Rassemble- ment des Republicans"zu Beginn dieses Jahres eine Partei begründet, über deren Programm man sich vorläufig noch ni ht ganz im klaren ist. Die Zusammensetzung dieses Rassemblemen ts soll äußerst bunt sein, und man nimmt an, daß Sartre von den eigentlichen Politikern seiner Partei sehr bald an die Wand gespielt werden wird. Die Fähigkeit, eine Partei zu führen und ein politische Konzept zu verwirklichen, traut man ihm nicht zu. „Was wollen Sie“, sagte mir mein Gewährsmann, „er ist ein Anarchist und Nihilist, und er wird höchstens eines Tages eine Bombe werfen. Aber bestimmt keine große …!“ Aus Diskussionen und Gesprächen mit Franzosen über Sartre gewinnt man den

Eindruck, daß man sich in Frankreich mit der Person Sartres wohl beschäftigt und seine Produktion mit Interesse verfolgt, beide aber längst nicht so ernst nimmt, wie ewa in Deutschland.

Die von den französischen Professoren gehaltenen Vorträge hatten vor allem das französische Theater der Gegenwart zum Gegenstand (Entwicklung und Ursprünge des neuen französischen Theaters von Blanchart, das Theater von Anouilh von Clement, das Theater des Cartel von David, über die Truppe des Vieux Colombier, Giroudoux und die Jugend und andere) Unter den Vortragenden befanden sich auch der Generalinspektor der französischen- Mittelschulen und Beauftragter für die österreichisch-französischen Kulturbeziehungen, Mr. Santelli, sowie der stellvertretende Direktor des Office Nationale des Univer- sites, Mr. Denis. Durch die Anwesenheit dieser hohen französischen Ministerialbeam- ten kam wohl auch zum Ausdruck, welche Bedeutung von französischer Seite diesem Treffen beigemessen wurde. Eine Reihe österreichischer Hochschulprofessoren und Wissenschaftler sprach über österreichische Literatur und bildende Kunst der letzten 50 Jahre. Sowohl die deutschen wie auch die französischen Vorträge hatten bedeutendes Niveau, so daß auch der fachlich-wissenschaftliche Teil dieser gemeinsamen Wochen durchaus positiv beurteilt werden kann.

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