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Es gibt keinen Lieben Gott“

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Das letzte Drama Jean Paul Sartres, „Le Diable et le Bon Dieu“, ist eigentlich ein Thesenstück, das den Nachweis führen will: Gott ist tot, es gibt keinen Gott. Die Lebhaftigkeit der Diskussion, die das neue Werk ausgelöst hat, erinnert an die Literaturkämpfe der Klassizisten und Romantiker vor 120 Jahren, als es bei der Premiere von Victor Hugos „Hernani“ im Theätre Franjais eine regelrechte Saal-«chlacht gab. Die Bedeutung des neuen existentialistischen Stückes liegt nicht — das wird von ganz verschiedenen Literaturkritikern bezeugt — in seinem künstlerischen Wert, sondern in der kühnen, blasphemischen These, zu deren Diskussion und Widerlegung in erster Linie die christlichen Dichter Frankreichs angetreten sind.

Darüber, daß sich seine Überzeugung mit der in dem neuen Theaterstück vorgetragenen These deckt, hat Sartre keinen Zweifel gelassen. Dem Berichterstatter des „Figaro Litferaire“ hat Sartre auf die Frage: „Sind Sie sicher, daß es keinen Gott gibt?“ geantwortet: „Ich bin überzeugt davon“, und diese seine „Gewißheit“ mit den Worten begründet: „Ich stamme aus einer halb protestantischen, halb katholischen Familie. Schon im Alter von elf Jahren hatte ich durch die Streitereien meine Uberzeugung gewonnen. Darüber stellte ich Betrachtungen an, wodurch sie zur Gewißheit wurden.“ Erinnert man sich bei diesen Worten nicht an die feierliche Erklärung Cabanis' bei einer Sitzung des „Instituts“ zur Zeit des Konsulats: „Ich schwöre, daß es keinen Gott gibt“?

Auch die Gegner anerkennen, daß Sartre immer nach den großen, wesentlichen Themen greift, und der Kampf des Guten mit dem Bösen ist ohne Zweifel der erregendste dramatische Gegensatz. Die Sartresche Variation lautet: Wie ist es möglich, daß einer auszieht, das Gute zu verwirklichen — und dabei dem Bösen zum Siege verhilft? Hiezu schreibt Daniel-Rops in seinem kritischen Referat in der Pariser Zeitung „UAurore“: „Wenn Gott, um .seine Existenz zu beweisen, den Triumph der Liebe und der Tugend auf Erden brauchte, dann gäbe es nicht mehr viele Gläubige. Aber um uns von dieser These zu überzeugen — abgesehen davon, daß für einen Christen sich das Problem nicht mit solchen Begriffen umschreiben läßt —, hätte uns der Autor im Scheitern dieses Menschen (des Helden Goetz) die qualvolle Größe des menschlichen Elends fühlen lassen müssen, die ganze Verwerflichkeit jener Schande, die man Sünde nennt. Anstatt dessen sehen wir eine Gestalt, die aus dem Stil des Chatelet (dem durch seine prunkvollen und oberflächlichen Inszenierungen bekannten Pariser Theater. Anm. der Redaktion) in philosophisches Pathos fällt und mit der man, während vier Stunden, lediglich einige Minuten lang menschlichen Kontakt hat. Aber zehn Sätze Hamlets genügen, um uns ins Herz des metaphysischen Mysteriums zu führen, das Sartre ins Auge gefaßt hat!“

Daniel-Rops verweist immer wieder auch auf die künstlerische Unzulänglichkeit von Sartres Stück und macht ihm vor allem die vielen „glänzenden“, in Wirklichkeit billigen Formulierungen und Bonmots zum Vorwurf, die der Autor verschwenderisch in die ernstesten Dialoge eingestreut hat. Formulierungen, wie „der Mensch ist eine optische Illusion“ oder „das Gute kann einem zur Verzweiflung bringen“, oder „wenn Gott existiert, existiert der Mensch nicht, und wenn der Mensch existiert, existiert Gott nicht“, sind weder tief noch originell. Man denkt dabei an jene aus gequälter Brust kommenden Klagen und Anklagen eines Dostojewskij, Rimbaud oder William Blake — und Sartres Stück erweist sich als das, was es in Wirklichkeit ist: als ein Schuldrama und Thesenstück, nicht aber als ein Werk, das „mit Blut und Tränen“ geschrieben wurde.

Trotzdem, mei»t Daniel-Rops, bleibt das Stück bemerkenswert, denn in seinem „militanten Atheismus“ erkenne man deutlich „eine bestimmte Art von Glauben, ein metaphysisches a priori. Denn Sartre glaubt an die Wahrheit seiner Thesen wie ein Christ an deren Gegenteil. Das eröffnet sonderbare — aber im Grunde genommen erregende — Ausblicke auf das Geheimnis einer Seele, die sich Gott verweigert, auf einen Geist, der Gott mit allem Eifer leugnet, aber der von ihm besessen (.obsede') ist und dessen grundsätzliches Verhalten von einem Glauben bestimmt wird — von einem Wort für Wort invertierten, umgestürzten —, aber immerhin von einem Glauben“.

Thierry Maulnier hat für das Sartre-Stück einen anderen Titel geprägt: „Es gibt keinen Lieben Gott“, und auch Fran-cois Mauriac hat an Sartres geistigen Vater und Wegbereiter erinnert, ohne freilich — ähnlich wie Daniel-Rops — das ernste Anliegen Sartres zu übersehen: „Von den verschiedenen Torheiten, die sich der große Nietzsche geleistet hat, ist wohl die dümmste jenes Wort: Gott ist tot, das die Sartresche Miliz auf ihre schwarze Fahne geschrieben hat. Denn was tot ist, muß einmal gewesen sein, und wenn Gott gelebt hat, so lebt er noch und wird ewig leben. Dieser Gott, den der Held in Sartres Stück lächerlicherweise im Räume sucht und von dem er ein Zeichen verlangt, dieser Gott lebt in uns, und das Zeichen, das er uns gibt, ist der Mensch selber. Es ist der Mensch Sartre und der franziskanische Geist, der ihn erfüllt; seine Treue zu den Ärmsten der Armen, jene Treue, die er ihnen hält, obgleich ihre Partei ihn in Acht und Bann getan hat; dieser Mensch mit seiner entflammten Beredsamkeit und der krebsartigen Wucherung eines Geistes, der sich selbst verzehrt, der sich an einem Wort stößt: Gott, dieser Mensch Sartre, der sich weigert, bis zum Ursprung jener Macht des Geistes und. der Seele vorzudringen, von der er selber doch ganz erfüllt ist und deren wahrer Name die Liebe ist.“

Bei der Uraufführung des Stückes gab es einen kleinen bezeichneten Zwischenfall: Am Ende des zweiten Aktes, nach einer besonders kritischen Stelle, die da«

religiöse Gefühl beleidigte, ertönten einige heftige Pfiffe, und ein jugendlicher Ruhestörer wurde von zahlreichen Uniformierten festgenommen und aus dem Theater gewiesen. „Der, anarchische Atheismus“ — so schließt Daniel - Rops seine Kritik — „von der Garde Municipal beschützt: wenn ich an der Stelle Sartres wäre, so würde ich über diese symbolische Handlung nachdenken!“

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