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Zwischen Freiheit und Engagement

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Bereits zu Lebzeiten zu einer Art Monument geworden, wäre Jean-Paul Sartre am 21. Juni 90 Jahre alt geworden.

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Bereits zu Lebzeiten zu einer Art Monument geworden, wäre Jean-Paul Sartre am 21. Juni 90 Jahre alt geworden.

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Während man die Jahre 1945 bis i960 als „Les Annees Sartre” bezeichnen konnte, scheint es heute still um diesen Philosophen geworden. Wohl hat sich inzwischen eine beachtliche „Sartrolo-gie” herausgebildet, sein Einfluß ist aber eher subkutan und diffus geworden. Die hohe Zeit des Existentialismus ist lange vorbei, die Zeit als Sartre seine nahezu poetischen Elogen auf den Kommunismus anstimmte, gehört längst der Geschichte an. Auch sein Engagement für die Mai-Revolution 1968 und der damals Schlagzeilen machende Besuch im Gefängnis von Stammheim, als er den Anführer der „Bote-Armee-Fraktion” (BAF) aufsuchte, gehören längst der Vergangenheit an.

Das nahezu monströse philosophische und literarische Werk Sartres scheint kaum noch gelesen zu werden. Seine Produktion war in der Tat erstaunlich: Man hat errechnet, daß er im Durchschnitt während seines Lebens an die 20 Seiten pro Tag schrieb. Schreiben war sozusagen das Lebenselixier Sartres, der in seinen autobiographischen Werken immer wieder auf die Bedeutung des Schriftstellers und sein Engagement verwiesen hat.

Sein vehementer Atheismus hatte dazu geführt, daß seine Werke 1948 auf den Index des Vatikans gesetzt wurden, sein Aufruf zu einer unbedingten Freiheitsphilosophie beherrschte nach 1945 die intellektuelle Szene.

In einer seltsamen Vereinigung von politischem Handlungsdrang -Sartre gründete sogar eine eigene Partei - und intellektueller Distanz entstand ein Werk, dessen kalte, gelegentlich nahezu zynische Gebärde Begeisterung und Ablehnung zugleich hervorrief. Plakative Sätze wie „Die Hölle, das sind die anderen” oder „Der Mensch ist eine nutzlose Leidenschaft” und „Wir sind zur Freiheit verurteilt” provozieren. Ihre philosophische Basis zeigt einen langen und gewundenen Weg, der vom individuellen Existentialismus über einen etwas eklektischen Marxismus zum Versuch einer Vereinigung des „Besonderen und des Allgemeinen” führte, wie dies in der nahezu monströsen Flaubert-Studie zum Ausdruck kommt.

Die Polarität zwischen politisch engagierten Essays und Pamphlets und subtilen philosophischen Beflexionen ist ebenso erstaunlich, wie die Spannung zwischen seinem dramatischen Werk und seinen literarisch-ästhetischen Theorien. Sartre war freilich nie einer der vom postmodernen Philosophieren angeprangerten „Meisterdenker”. Wenn er heute für manche Vertreter dieses Philosophierens wieder interessant wird, so gerade in seinen ästhetischen und literaturtheoretischen Entwürfen.

Sartre hat zeitlebens versucht, eine Interpretation des Menschen und seiner Stellung in der Welt zu geben. Sie fiel gelegentlich äußerst widersprüchlich aus, schwankte zwischen einem Festhalten am Individuell-Subjektiven und einem Aufgehen des Menschen im Bereich des Kollektiven und Geschichtlichen.

Im Grunde war Sartre Anarchist und ist immer ein solcher geblieben. Seine meisterhafte Beherrschung der verschiedensten Diskursformen macht ihn heute wohl interessanter als die inhaltlichen Aussagen seines im wesentlichen unvollendet gebliebenen Gesamtwerkes. Immerhin, seine Thesen vermögen uns auch heute noch zu provozieren und zu Gegenkonzepten anzuregen. Die Frage, was tatsächlich von seinem Werk blieb, ist schwer zu beantworten.

Vielleicht bleibt nur seine eigene Aussage aus „Die Wörter”: „Was bleibt, wenn ich das unmögliche Heil in die Bequisitenkammer verbanne? Ein ganzer Mensch, gemacht aus dem Zeug aller Menschen und der soviel wert ist wie sie alle.”

Oder es bleiben folgende Sätze Sartres aus „Das Sein und das Nichts”: „Jede menschliche Wirklichkeit ist eine Leidenschaft, insofern sie sich dahin entwirft, sich zu verlieren, um das Sein zu gründen und um zugleich das An-sich zu konstituieren, das, sein eigenes Fundament geworden, der Kontinenz entkommt, das ens causa sui, das die Beligionen Gott nennen. So verhält sich die Leidenschaft des Menschen umgekehrt zu der Christi, denn der Mensch verliert sich als Mensch, damit Gott werde. Aber die Idee Gottes ist widersprüchlich und wir verlieren uns vergebens. Der Mensch ist eine nutzlose Leidenschaft.”

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