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Nach dem Schock — Rückschau

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„FRANZÖSISCHER EXISTENTIALISMUS.“ Von Friedrich Bollnov. W.-Kohlhammer- Verlag, Stuttgart, 1965. 212 Seiten, Leinen, Preis DM.

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„FRANZÖSISCHER EXISTENTIALISMUS.“ Von Friedrich Bollnov. W.-Kohlhammer- Verlag, Stuttgart, 1965. 212 Seiten, Leinen, Preis DM.

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Friedrich Bollnow gibt seine zwischen 1947 und 1956 geschriebenen Aufsätze über Existentialphilosophie in Frankreich, dn diesem Buch gesammelte, fast unverändert heraus. Er unterzieht darin nicht nur die Gedanken dqr eigentlichen und ursprünglichen Existentialisten Frankreichs. eines Sartre, der Beauvoir, usw. einer kritischen Würdigung, .sondern auch jener, welche, wie Camus oder Marcel, sich nur vorübergehend zu dieser Philosophie bekanten, so wie auch solcher, die wie der Verfasser es im Vorwort ausdrückt, „eine schwer zu fassende Beziehung zu dieser Bewegung zeigen“ — das gilt zum Beispiel für Malraux und Saint Exupery —, und schließlich auch noch derjenigen, die dn ausdrücklicher Gegenposition zu ihr stehen und sie gewissermaßen ab- schiießen, was bei Bachelard zutrifft. Da der Existentialismus — über den Mißbrauch dieses Wortes siit viel geklagt worden — heute bereits historisch zu werden anfängt, das heißt, da seine Bedeutung im Abklingen ist, erkennt man nun auch allmählich immer deutlicher, daß weder der Sartresche Atheismus noch Camus’ absurder Held jene Denknotwendigkeiten sind, an die . man einst geglaubt hat. Nach dem anfänglichen Schock, den diese Ideen Verursachten, hat man nun wieder normal zu atmen angefangen. Man hat Abstand gewonnen und blickt gefaßt zurück. Bollnow tut es von der berufenen Stelle des Philosophen aus, der von Anfang an dabeigewesen ist. Seine Darstellung der jüngsten Ergebnisse in dieser Philosophie macht uns wieder Hoffnung, einst auch die Philosophie der Hoffnungslosigkeit allmählich in eine menschliche sich verwandeln zu sehen.

Im Vorwort wird ein Überblick über die historische Entwicklung der existentiellen Philosophie gegeben, „die in ihren Anfängen aus dem befreienden Bewußtsein entstanden war, gegenüber allem, was sich in der Vergangenheit als hohl und brüchig erwiesen hatte, endlich wieder den festen Boden der Wirklichkeit gefunden zu haben“. Sie war, aus verschiedenen Ursprüngen kommend, zuerst in Deutschland entiwik- kelt und dann von den Franzosen ausgebaut worden, dlie zur Zeit der deutschen Besetzung „in ihr eine Möglichkeit fanden, ziu einer Klärung ihrer Lage zu kommen“.

Im ersten Kapitel wird zunächst der Existentialismus Sartrescher Prägung’ an Hand van dessen 1946 geschriebenen allbekannten Essay „L’existentialismeest un bumanisme“ erklärt. Dieser gipfelt bekanntlich in dem Satz: Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht. Dann werden deutsche und französische Existentialisten miteinander verglichen. Der Frage, was wir von dieser Philosophie zu halten haben, wird die ausweichende Antwort gegeben, es könne von reiner ausschließlicher Existenzphilosophie nipht gesprochen werden. Es folgt eine Besprechung von Camus’ Roman „Die Pest“ als Beispiel für die Auffassung dieses Philosophen vom Leben des Menschen, das nach ihm in einem dauernden Zustand, ähnlich dem der Pest, in der Grenzsituation des Seins, zu führen ist. Das umfangreichste Essay, „Existentialismus und Ethik“, ist dem Werk des1 christlichen Existentialisten Marcel gewidmet. Hier ist auch bereits ein Weg aus dem absurden Zustand gefunden, und er wird in der Auseinandersetzung mit Malraux’ großartigem Roman „Die Nußbäume der Altenburg“ weiter beschriften. Nach einem Ausflug in die Geborgenheit der „Wüstenstadt“ Saint Exupérys kommt Marcel noch einmal mit seinem 1951 geschriebenen Buch „Geheimnis des Seins“ zu Wort (Übrigens wird Marcel gleich an zwei Stellen um zehn Jahre zu jung angegeben). Das im selben Jahr erschienene Buch „L’homme révolté“ von Camus beweist, daß auch ursprünglich ganz zu Sartre stehende Philosophen sich zu befreien versuchen. Es ist sehr richtig, Samuel Beckett, dessen „Warten auf Godot“ Weitberühmtheit erlangte, unter die französischen Existentialisten zu reihen, da sie ihn zweifellos stark beeinflußt haben.

Eine eingehende Analyse der „Poetik des Raumes“ von Gaston

Bachelard bildet den Abschluß. Darin ist das, was in der „Stadt in der Wüste“ konkret gestaltet wurde, einer abstrakten Behandlung unterzogen worden.

Auch nur auf einen der vielen originellen Gedanken einzugehen, die diese gesammelten Buchbesprechungen des Philosophen Bollnow aufwerfen, ist hier nicht möglich. Wenn nur einiges von dem, was unter den Nußbäumen in Malraux’ Roman gesprochen wird, wahr ist — und das ist zu fürchten —, daß nämlich die Kultur es ist, die den Menschen macht, der sich um so mehr verflüchtigt, je weniger er daran teilnimmt, dann dürfen wir nicht zögern, Bücher wie diese zum Studium zu empfehlen.

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