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Albert Camus: ein linker Antimarxist

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Albert Camus findet, auch wenn er nicht mehr im Zentrum modischer Begeisterung und Verehrung steht, nach wie vor international große Aufmerksamkeit und viele Leser. Als politischer Denker gewinnt er nicht zuletzt durch seine Marxismuskritik wie durch seine Philosophie der Grenze und des Maßes, wie sie vor allem im theoretischen Hauptwerk „Der Mensch in der Revolte" formuliert ist, immer aktuellere Bedeutung.

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Albert Camus findet, auch wenn er nicht mehr im Zentrum modischer Begeisterung und Verehrung steht, nach wie vor international große Aufmerksamkeit und viele Leser. Als politischer Denker gewinnt er nicht zuletzt durch seine Marxismuskritik wie durch seine Philosophie der Grenze und des Maßes, wie sie vor allem im theoretischen Hauptwerk „Der Mensch in der Revolte" formuliert ist, immer aktuellere Bedeutung.

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Bis vor kurzem wußte der deutschsprachige Leser recht wenig von Albert Camus' letzten Lebensjahren. Die umfassende Biographie von Herbert R. Lottmann, die jedes greifbare Detail recherchiert hat und treffend ein „Beitrag zum modernen Indiskretionismus" genannt wurde, ist erst 1986 auf deutsch erschienen. Und der letzte Band der Tagebücher wurde von den Erben 30 Jahre unter Verschluß gehalten; 1989 konnten sie erscheinen und liegen nun auch deutsch vo>r.

Diese Tagebücher der Jahre 1951-1959 umfassen die Zeit der Nobelpreisverleihung, der Kontroverse mit Jean Paul Sartre nach dem Erscheinen von „Der Mensch in seiner Revolte", der Entstehung des Romans „Der Fall" und des Novellenbandes „Das Exil und das Reich" sowie des Algerienkonflikts. Vor allem geben sie Einblick in die literarischen Pläne, die Camus durch seinen Unfalltod am 4. Jänner 1960 nicht mehr verwirklichen konnte: Mit dem Roman „Der erste Mensch" (die 150 fertigen Seiten sind bis heute unveröffentlicht) wollte er den „Zyklus der Liebe" beginnen, der auf die Zyklen des Absurden und der Revolte folgen sollte. Im Drama „Don Faust" wollte er den Faust- und den Don-Juan-Stoff verbinden.

Camus war ein Fremder im intellektuellen Milieu von Paris. Er schreibt von „Sippen von Hunden, die in Städten versammelt sind und an Ideen nagen" oder notiert lapidar: „Paris ist ein Dschungel, und seine wilden Tiere sind mies." Fremd ist er durch seine algerische Herkunft, die ihm auf mehreren Reisen wieder bewußt wird, aber die bitteren Sätze beziehen sich auf die unfairen Attacken Sartres und seinerGefolgschaft. „Ungeschichtliches Denken" warfen sie ihm vor und rechtfertigten Opfer und zeitweiligen Terror. Camus listete ihnen die physische Vernichtung der russischen Bauernklasse und die politischen Prozesse hinter dem Eisernen Vorhang auf und warf ihnen „intellektuellen Verrat" vor. Besonders schwer traf die Bezeichnung „linke Kollaborateure" die ehemaligen Weggefährten der Resistance: Von Kollaboration hatte man immer unter der deutschen Besatzung gesprochen.

Camus zählte sich zwar der Linken zu, vertrat aber einen antimarxistischlibertären Sozialismus in der Tradition Proudhons und protestierte gegen die Niederschlagung des DDR-Arbeiteraufstandes und den sowjetischen Einmarsch in Ungarn. Zustimmend zitierte er einen Wahlspruch Rene Chars: „Freiheit, Ungleichheit, Brüderlichkeit."

Neben der aktuellen Auseinandersetzung erfährt man viel von Camus' Leküre: Dostojewski, Tolstoi, und immer wieder Nietzsche, sein Verbündeter gegen transzendente oder historische Sinnkonzepte. Vor allem aber geben die Tagebücher Einblick in die bedrük-kende persönliche Verfassung von Camus: Heimgesucht von Erstickungsanfällen und Klaustrophobie, von Selbstzweifeln, Einsamkeit und einer Arbeitslähmung, reagiert er auch auf den Nobelpreis mit einem „Gefühl der Niedergeschlagenheit und Wehmut". Die Unfähigkeit zu Bindung und Nähe, gerade auch in den vielen Frauenbeziehungen, war Camus in quälender Deutlichkeit bewußt.

Licht und das Erleben von Glück, im Werk Camus' so zentral, brechen nur auf einer Griechenlandreise durch. Camus wollte ein Grieche unter den Bedingungen der Moderne sein und „den Glauben heidnisch und Christus griechisch machen". Das »Wort Atheismus hatte für ihnen keinen Sinn: „Ich glaube nicht an Gott und ich bin kein Atheist." (Camus' leidenschaftlicher wie tragischer Weltannahme aus dem Geist des Griechentums, seinem Votum für Schönheit und Maß gegen Macht und Geschichte ist übrigens ein Kongreßband der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart gewidmet, der die wichtigsten deutschsprachigen Camus-Forscher zu Wort kommen läßt.)

In oft aphoristischer Kürze und Prägnanz schlagen die Tagebücher zentrale Themen Camus' an, geben Einblick in seine Pläne, zeichnen den Entstehungszusammenhang wichtiger Werke nach. Sie sind das Fragment einer Autobiographie, von der man nur schwer loskommt.

Ein hartnäckiges Vorurteil rechnet Camus noch immer unter die Existen-tialisten. Neun Tagebuchzeilen genügen ihm, um sich von ihnen abzugrenzen. Angesichts drückenden sozialen Elends überführt er den existentiali-stischen Grundsatz, jeder sei für das verantwortlich, was er ist, als Zynismus oder Dummheit.

Marxistische Intellektuelle, die sich als Kritiker der Gesellschaft verstanden, stehen heute angesichts von Terror und Gewalt, die sie gerechtfertigt haben, selber vor dem Forum der Kritik. Als Denker hat Camus sie bekämpft, als Mensch unter ihnen gelitten und sich von ihrer Isolation nicht mehr erholt, wie das Tagebuch erkennen läßt. Zu der fälligen Analyse ihrer falsch verstandenen Solidarität hat er Wesentliches beizutragen.

ALBERT CAMUS. TAGEBUCH MÄRZ 1951-DEZEMBER 1959. Aus dem Französischen übertragen von Guido G. Meister. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1991.380 Seiten, öS 327,60.

„HELENAS EXIL". Albert Camus als Anwalt des Griechischen in der Moderne. Herausgegeben von Heinz Robert Schlette und Franz Josef Klehr. Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart 1991.

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