6580447-1951_14_10.jpg
Digital In Arbeit

Camus in Wien

Werbung
Werbung
Werbung

Albert Camus, eine der führenden Persönlichkeiten des geistigen Frankreich, erscheint zum erstenmal auf einer österreichischen Bühne. Das Volkstheater bringt „D i e Gerechten“. Ein „historisches“ Stück aus der Sozialrevolutionären Bewegung im zaristischen Rußland, welches dartun will, wie fragwürdig der Sieg der Terroristen über das alte Regime war, weil sie nur eine alte Angst durch eine neue Angst, einen alten Terror durch einen neuen Terror ersetzten? Nein, mit dieser Interpretation würden wir Camus völlig mißverstehen. Die äußere Legende ist „nur“ Montage: die Sorgen und Kümmernisse dieser fünf Verschwörer vor und nach der Ermordung des Großfürsten, ihr Ringen um den „rechten“ Haß und die „rechte“ Liebe, um das Volk, um das Glück Rußlands und der Menschheit; dazu die geschichtliche Problematik aller vorbolschewistischen revolutionäre Aktionen, aller „Illegalen“. —

Staffage ist das, Inszenierung, die Camus „nur“ braucht, um den Menschen in seiner Grenzsituation zeigen zu können; so wie in „La Peste“ (dramatisiert als „die Belagerung“) die Menschen in der verseuchten Stadt ihre „absurden“ Wege gehen, die doch einer geheimen tiefen Logik verpflichtet sind. Diese will Camus orten, nicht erfinden, sondern finden — für seine Mitmenschen, nicht zuletzt für sich 6elbst. Dieser Denker eines atheistischen Humanismus zeigt in großer Anständigkeit und Sauberkeit (wie viele christliche „Philosophen“ können von ihm lernen) die Fallstricke auf, in denen der Mensch sich selbst fängt und erwürgt; nicht nur in seiner Politik, in seinem Machtstreben, sondern vor allem in seinen Gedanken. Camus' fünf „Gerechte“ sind, wie einen von ihnen selbst sagt, „nicht von dieser Welt“; sie haben der „Welt“, ihren Reichtümern, Freuden und Genüssen abgesagt, mehr noch, der tiefen und hohen Erfüllung in einer persönlichen Liebe. Kinder ßind 6ie fast noch an Jahren, frühgealtert aber im aufreibenden Kampf mit den Spitzeln des „Systems“,-auf ihre Weise glauben sie ebenso wie mittelalterliche Fanatiker, das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen — Gott in Geschichte zu verwandeln, in Zukunft, Glück, Wohlstand der Menschheit aufzulösen. Wir würden nun aber Camus völlig mißverstehen, wenn wir mit der verlogenen Geste des mitteleuropäischen „christlichen“ Spießbürgers den Finger erheben würden zur warnenden Anzeige: seht, dahin sind sie gekommen, diese Gottlosen... da habt ihr es wieder, die Erde wollten sie in ein Paradies verwandeln, ein Jammertal wurde daraus. Nichts liegt Camus ferner als diese Auffassung: er hätte zur Illustration seiner Auffassung des Menschen und der ihm immanenten Tragik auch christliche „Gerechte“ wählen können, die in der Kreuzzugsstimmung des „Gott will es“, fiat justitia, pereat mundus, die Welt in Flammen setzen, um ihre Idee, ihre Gerechtigkeit zum Triumphe zu führen. Auf die Farbe der Kerker und Scheiterhaufen kommt es ihm nicht an — wohl aber auf etwas ganz anderes: zu zeigen, wie in dieser furchtbaren Pressung der Geschicke, Schicksale und Situationen der Mensch, das seltsame unbekannte Wesen, immer noch Mensch bleibt, ja erst im Scheitern letzte Reife erfährt. In einem Martyrium, das in sich ruht, eine reife Frucht, ohne Bindung an einen fremden Himmel, eine fremde Hölle.

Dieser späte, völlig desillusionistische Humanismus Camus', der heute einen großen Zauber auf die französische Jugend ausübt, hätte vom Volkstheater in einführenden Worten, zumindest in einer Programmbeilage, dem völlig unorientierten Wiener Publikum, dem der geistige Kosmos der Gegenwart unbekannt ifit, vorgestellt werden müssen. So steht zu befürchten, daß die sehr sehenswerte, verdienstvolle, von hingen Kräften getragene Vorstellung nicht ihr Ziel erreicht: Wien und Osterreich bekanntzumachen mit einem Repräsentanten des heutigen Frankreich.

Kurz fassen dürfen wir uns mit der „S a c h e r t o r t e“, die in der Insel Rudolf Österreicher und Siegfried Geyer servieren. Alt-Osterrelch, nicht im Schloß Kafkas, sondern aufgelöst in einige Soupers im Hotel Sacher, garniert mit Erzherzog, Baron, Rittmeister, Kommerzialrat und Hofratstochter. Bai paree? Passe. Vorbei. — Hans Olden und Inge Brücklmeier tragen die Aufführung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung