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ALBERT CAMUS / DENKER UND TÄTER DER FREIHEIT

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Im einem Augenblick, in dem der Terror sich wieder im freien Europa zu regen beginnt, starb Albert Camus. Bin Autounfall riß den knapp Sechsundvierzigjährigen hin-weg. Die reinste Flamme der Resistance, des Widerstandes des Menschen gegen den Schrek-ken, ist erloschen. Das ist keine Phrase, sondern Wirklichkeit. Die Freiheit hat in Europa einen ihrer edelsten Kämpfer verloren. Ein alarmierendes Moment in unserer europä' ischen Situation wird nicht zuletzt durch diese Tatsache kundgemacht: Albert Camus, Nobelpreisträger, ein Mann, der des Wortes mächtig war wie wenige seiner Zeitgenossen, war in den letzten Jahren in ein großes Schweigen eingegangen. Er, der als Begründer des „Combat“, dreißigjährig, in dieser Zeitung der Resistance so gegensätzliche Geister wie Bernanos, Sartre, Malraux und Raymond Aron als Mitarbeiter im Kampf gegen den Terror um sich gesammelt hatte, sah nun, wie der Schrecken würgend, eine Hydra, tausend Arme um Frankreich zu legen begann. Camus schwieg und handelte: immer wieder fuhr er hinüber, in die offene Wunde Frankreichs, nach Algerien, um bei den General-residenten Lacoste und Soustelle für zum Tod Verurteilte und für Eingekerkerte zu intervenieren.

Camus ist am 7. November 1913 in Algerien als Sohn eines Landarbeiters geboren. Harte Jugend im harten Land: der junge Camus verdient sich als Hilfsarbeiter, Verkäufer, Dekorateur, Angestellter sein Brot. Vvi'rd JournaVst. Der Zwanzigjährige wird aus Algerien ausgewiesen, weil er eine Enquete über das soziale Elend der Kabylen veröffentlicht. Die Jahre vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges gehören dem Studium, dem Theater — seiner großen Liebe, er leitet eine Wanderbühne — und seiner Erfahrung Europas. 1936 ist Camus in Prag und Wien. Dieser Mann aus Algerien sieht im brennenden Licht der afrikanischen Sonne hie-- den Barock: der ihm als eine große Lüge erscheint. Ein tragisches Verkennen, das jedoch intim zur Struktur seines Denkens gehört, auch zu seinem Atheismus. Camus sieht in den Christen Menschen, die, sich selbst entfremdet, der Verantwortung des Menschen zu entfliehen trachten: auf dieser Erde treu, ganz Mensch zu sein, und in jeder Stunde wider die Grausamkeit zu kämpfen. „Ich hasse nur die Grausamen.“ Das ist sein Bekenntnis. Der atheistische Humanismus des Albert Camus stellt für das Denken und für die Existenz des Christen in der Welt von heute eine Herausforderung dar, die positiv, in liebendem Ernst bisher nur in Frankreich angenommen wurde, wo katholische Denker wie Maritain, Mauriac, Danielou und andere sich in eben dieser Auseinandersetzung voll und ganz zu dem Menschen Camus bekannt haben.

Sein Werk: eben wird in Wien, in den Kammerspielen, seine Bearbeitung der „Dämonen“ Dostojewskys gespielt. Gleich nach dem Krieg brach er, als einer der ersten, durch seinen „Brief an einen deutschen Freund“ den Bannkreis, der sich um das unglückliche Volk gelegt hatte. Hier wie überall war dies das Motiv seines Denkens und Schreibens: den Zauber und die Uebermacht des Schrek-kens zu brechen. „Die Pest“, „Mythos des Sisyphos“, die Bühnenstücke „Belagerungszustand“, „Caligula“, „Die Gerechten“, „Das Mißverständnis“, kreisen um dieses. 195Q bekennt er: „Im schwärzesten Nihilismus unserer Zeit suchte ich nur Gründe, ihn zu überwinden. Uebrigens nicht aus Tugend noch aus einer seltenen Seelengröße heraus, sondern aus instinktiver Treue zu jenem Licht, in dem ich geboren wurde und in welchem seit Jahrtausenden die Menschen gelernt haben, das Leben zu bejahen bis in seine Leiden hinein.“ Camus, ein Mann aus dem Lichte Algeriens, ist tot. Jedermann aber ist eingeladen, sein Licht in seinen Werken zu ersehen. f. h.

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