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„Caligula“— Tragödie unserer Zeit

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Das bisher bedeutendste theatralische Ereignis der Wiener Festwochen 1961 ist die Aufführung des Schauspiels „C a I i- g u 1 a“ von Albert Camus im Akademietheater. Hier erfährt man, daß wir Zeitgenossen sind: einer Zeit, in der Ungeheures und Ungeheuerliches sich begibt, im Menschen. Ganz vordergründig ist der Hinweis auf die politischen Diktaturen unserer Zeit; dieser „Caligula“ des Albert Camus, von 1947, trägt nicht die Gesichtszüge Hitlers, Stalins oder eines der heute machtwaltenden Diktatoren. Das heißt nicht, daß der aus dem Volke kommende Albert Camus, Mann der Résistance, Kämpfer gegen jenen französischen Integralismus, der ihn am liebsten beseitigt hätte, da er von Beginn seiner publizistischen Tätigkeit an die Verhältnisse in Algerien, seiner Heimat, brandmarkte, das politische Engagement im Tage nicht kannte oder gar scheute. Wie sein Freund, der Dichter und Kämpfer René Char, sieht er- aber hinter dem Gemetzel und Mord des Tages in tiefere Untiefen hinab: Das Drama des Menschen auf Erden, die Tragödie der Freiheit ist härter und furchtbarer, als blutlose Freunde der „Freiheit“ und blutige Henker der Freiheit sich vorstellen. Der Caligula des Albert Camus ist also nicht einfach der Gajus Caesar Caligula oder eine Maske heutiger Mörder, sondern anderes, Heimlicheres und Unheimlicheres, mehr.

Verwandte von ihm sind, im deutschen Bühnenschaffen, bei Kleist, Grabbe, Büchner, und im Denken der frühen Romantik zu suchen: dort, wo, lange vor Nietsche, der Übermensch vorgedacht wird, der Mann, der „den Mond will“, nach den Sternen greift, weil er das Nichts, die Sinnlosigkeit, die Grausamkeit, die Feigheit, die Dummheit, die Glanzlosigkeit, die Schäbigkeit der Umwelt nicht ertragen kann. Man muß, so man die eigene Zeitgenossenschaft mit unserer Zeit (und diese setzt voraus: tiefste Versöhnung und Un- versöhntheit zugleich) wahrnehmen will, in diesem Schauspiel ständig auf alle Mitspielenden schauen und sie zudem noch in der eigenen Brust wahrnehmen; vom Mörder Caligula, der die Möglichkeiten des Menschen testen, experimentell feststellen will, indem er nach allen Selten ins „Unmögliche“ vorstößt, muß der Blick ständig auf die Mitspieler wandern, die Mitproduzenten dieses Unheils: die elende Schar der Patrizier, der scheinheiligen Jasager, deren Führer Soneetus.der alt-dumme Greis, • und der Oberhofmeister Patricias sind: Diese Männe wellen überlebea. und wollen das. was’ Sie besitzen, behaupten; koste es auch das Leben ihrer nächsten Verwandten und, täglich, ihre eigene Ehre: behaupten wollen sie ihren Stand, ihr

Geld, ihre Titel, ihr nacktes Leben. Auf Caiigulas Seite stehen Outsider dieser „guten Gesellschaft“: der freigelassene

Sklave Helicon und die ehemalige Geliebte Caesonia. Zwischen den Feigen, den Mitmachern, die in ihrer Angst und Gier und Schwäche den Mord provozieren und mitproduzieren, und Caligula, dieser fleischgewordenen Chiffre für die Möglichkeiten des Menschen in der Vollmacht und Ohnmacht der Freiheit, steht das Haupt der Verschwörer, Cherea, der mit seinen Helfern nichts gemein haben möchte — er ist das andere Ich, das hellere Ich des Caligula, und steht der Dichter Scipio, in dessen Gestalt sich Camus selbst verewigt hat (so, wie er allen Gestalten seiner Dichtungen Züge der eigenen Person und der von ihm erfahrenen Problematik unserer Zeit eingegossen hat).

Diese große Dichtung unserer Zeit, deren Verständnis allerdings die Wahrnehmung von Zeitgenossenschaft voraussetzt, wird im Akademietheater prächtig von Werner D ü g g e 1 i n regiemäßig betreut. Die Bühnenbilder und Kostüme Jörg Zimmermanns lassen den algerischen

Himmel, die grausam klare weiße Überhelle des afrikanischen Lichtes, das den Schmerz der Vernunft, die Hellsichtigkeit des Auges des Sehers Camus geformt hat, ahnen. Die großartige Gesamtleistung wird, wie von einem Chorführer, von Boy Gobert, als Caligula, angeführt. Hier ist Geist, Charme, Zauber, Dämonie des Menschen, des Wesens, das fähig ist, im Besten und im Bösesten zu wandeln, inkarniert. Alexander Trojan als Helicon, Erich Auer als Cherea und Ernst Anders als Scipio verkörpern eindrucksvoll Elemente in der Brust des Caligula. die dort nicht zur Ehe, sondern zum Chaos vereint sind: gelöst aus diesem, erscheinen sie als blutvolle Gestalten auf der Bühne. Ein Wiener Publikum, dem die Problematik unserer Zeit, die des Franzosen Camus ebensosehr fremd ist, wie die der Wiener Broch und

Wittgenstein, an deren 10. Todestag eben international erinnert wurde, blickte beklommen auf das Schauspiel. Stärkster Beifall einer sehenswerten Minderheit.

Schönes Schauspiel in der Burg; Goethes „Egmont“. Leopold Lindt- b e r g inszeniert, Herbert von Karajan dirigierte zur Eröffnung die Beethovensche Ouvertüre. Judith Holzmeister ist reine große adelige Regent in sie steht’ hier auf der ‘Bühne für -jene t großen Frauen Alt europas, die, als Friedensstifterinnen und Mahner zur Menschlichkeit, einen Meister Eckhart, einen Erasmus, einen Ignatius von Loyola (um nur drei sehr verschiedenartige Männer zu nennen) inspiriert haben. Fred Liewehr ist ein sehr edler, reifer Egmont: kein blind in sein Verderben laufender Jüngling, sondern ein Wissender und ein Liebender. Martha Wallner ist hauchzarte Stimme des liebenden Mäd-

chens und ist Marianne, Delacroix Marianne, die ein Volk zur Revolution führen will: eben dieses Volk muß aber erst in der Esse des Terrors geboren werden, aus jammervollen einzelnen, die im Banne ihrer Angst vegetieren. Albin Skoda ist dieser Schmied auf der Seite des „schwarzen Terrors“, Attila Hörbiger der Gegenschmied als Oranien. Schwaches Bühnenbild von Theo Otto, schwache Verlegenheitskostüme von Eilt Rolf. Starker Beifall.

Vor der Jesuitenkirche inszeniert Heinz Hilpert den „Armen Heinrich“ von Gerhart Hauptmann. Hartmann von Aue hat in der großen Krise des „Heiligen Reiches“ um 1200 einem jungen deutschen Adel gezeigt, daß er sich in Herrschsucht und Überhebung nicht behaupten kann; innerer Adel, Adel der Seele kann ihn allein vom leiblichen und seelischen Aussatz retten. Ein Mädel aus dem Volk, Ottegebe, heilt durch ihre Opferkraft, ihre Herzkraft, den aussätzigen Ritter von Dünkel, Hochmut und Lepra. Hauptmann hat in seinem „Armen Heinrich“, in dem einige seiner schönsten Sprachgebilde stehen, eines seiner reinsten Kunstwerke geschaffen, das allerdings .schwer zu „ reprpduzieren, i fi soll es nicht sentimentalisiert. als „Legende“ und t.-„Mär“ verramscht werden. Aufgabe großer Bühnen, ln der sehenswerten Aufführung vor der Jesuitenkirche kommt Walther Reyer als Ritter Heinrich der Intention des Dichters nahe, leider nicht Lizzi Reisenberger als Ottogebe und Alexander Engel als Pater Benedikt, so daß falsche Akzente entstehen, die falschen, unangebrachten Spott über diese Dichtung provozieren. Dankbar doch das Publikum.

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