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Mord als Weltanschauung

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Die neuen Bühnenwerke lassen seit Jahren geistige Dimensionen vermissen. Es geht fast stets um Alltagsnöte, um Probleme des Materiellen, zum Wesentlichen des Lebens, zu den letzten Fragen wird kaum je mehr vorgestoßen. Da ist es verdienstvoll, daß die „Werkstatt“ im Theater am Kärntnertor derzeit das Schauspiel „Caligula“ aufführt, das Albert Camus ein Jahr vor dem letzten Krieg geschrieben hat.

Sueton behauptet, Caligulas Thronbesteigung habe einen heißen Wunsch des römischen Volks erfüllt, der noch junge Mann entsprach zunächst den Erwartungen, wurde aber dann zum „Scheusal“ Caligula. Und eben aus diesem Scheusal formte Camus einen Menschen, der die Grenzen des Daseins durchbrechen will, der den Mord verlangt, das Unmögliche. Was dieser jugendliche Gewaltherrscher, der nicht ganz vier Jahre regiert hat, dieser hemmungslose Triebmensch mit dem ebenso besessenen wie eiskalten Denken erreicht, ist schrankenlose Freiheit durch schrankenlos ausgeübte Macht. Worin besteht sie? In der Freiheit, zu morden, in maßlosen Verbrechen. Problematik aller Tyrannen, die uns nur allzugut bekannt ist. Wird er zum Sklaven seiner totalen äußeren Freiheit und seiner inneren Unfreiheit? Er erkennt, die Freiheit, die er wählte, trog ihn, führte nicht zum Wesentlichen, nach dem er strebte. Der Verschwörung wider ihn, von der er erfährt, die ihn zu Fall bringt, setzt er nun keinen Widerstand entgegen, damit negiert er sich selbst, seine Verneinung aller Werte.

Das Stück bietet eine Abfolge von Diskussionen äußerster geistiger Spannung, vor allem von Caligula geführt. Grausamkeiten bogeben sich dabei vor uns oder werden erwähnt. Die Hauptauseinandersetzungen ziehen sich unter der Regie von Hans Gratzer längenlang von der Zuschauertribüne herunter und auf dem Steg hinauf, der zur weit hinten im Raum gelegenen, fast gar nicht bespielten Bühne führt. Die weniger wichtigen Auseinandersetzungen der seitlich stehenden Patizier und Dichter untereinander oder mit Caligula erfolgen quer dazu. Die Bezüge des Verbalen werden klar ins Optische umgesetzt.

Die Patrizier und Dichter halten immer wieder Masken vors Gesicht, auch an die Zuschauer werden “eingangs Masken verteilt, mit denen sie allerdings nicht viel anzufangen wissen, aber das Zwiegesichtige im Verhalten einem Tyrannen gegenüber und auch die Vielschichtigkeit in Caligula selbst ist wohl damit bewußter gemacht. Diesen Eindruck des Vielschiqhtigen verstärkt noch das vorzügliche Bühnenbild von Leo Tichat: Es werden hintereinander zahlreiche schmale Vorhänge aus dicken Seilen aufgezogen. Demgemäß kennzeichnen auch Schnurgehänge die meisten seiner trefflichen Kostüme.

Das Abwegige, mitunter fast irr Wirkende des Caligula macht Hans Gratzer voll glaubhaft. Da ist die Besessenheit bohrenden Denkens, die Einsamkeit, das Jähe, Unberechenbare. Julia Gschnitzer, die im Volkstheater auf ganz andere Rollen festgelegt ist, überrascht als alternde, fast willenlos ergebene Mätresse Caesonia. Michael A. Mayrhofer, Hanno Pöschl.Walter Benn überzeugen in weiteren tragenden Rollen. Jedenfalls übertrifft diese Aufführung eines gewichtigen Stücks an Qualität so manche der Großbühnen. Gratzer will Wien für geraume Zeit verlassen. Man sollte ihn- zu halten versuchen.

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Das Kriminelle mit dem Komödienhaften zu verbinden wirkt offenbar doppelt reizvoll. Jedenfalls wurde die Kriminalkomödie „Keine Leiche ohne Lily“ von Jack Popplewell bereits in vielen Ländern gespielt und ist nun in der „Kleinen Komödie“, die sich sozusagen als eine Boulevardboutique erweist, zu sehen. Da verschwindet hinter einem Schreibtisch geheimnisvoll eine Leiche mit Messer im Rücken, eine schwarze Hand löscht das Licht, das Messer und ein entscheidend wichtiger Knopf sind auf einmal nicht mehr da. Im Büro, in dem sich das begibt, richtet sich der Verdacht gegen alle. Zentrale Gestalt: Lily Piper, die Putzfrau mit dem Mundwerk, das selbst der Inspektor von Scotland Yard nicht zu bändigen vermag, und die selbstredend über alle Hindernisse hinweg den Fall aufklärt. Den Fall: Er weitet sich zu zwei Fällen. Dieses Weibsbild wirkt ausgesprochen amüsant, besonders in der Darstellung durch Lilianette unter der Regie von Helmut Siderits. Als Inspektor überzeugt Otto Beier, gute Besetzung der weiteren Rollen. Es wird viel gelacht Wolfgang Müller-Karbach entwarf das anspruchslose Chefzimmer.

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