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Neue Entwicklung in der Tiroler Literatur

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Tirol hat sich als Kreuzungsland verschiedener Kulturen mitten in Europa doch seine Eigenart mit starker Kraft bewahrt. Die Wogen der großen Welt brechen an den Felsen dieses Landes. Es ist ein Land der stolzen und gesunden Tradition, wo es Werte zu bewahren gilt — ein Land aber auch des Fortschritts, freilich innerhalb der Grenzen tirolischen Wesens.

Die Entwicklung nach dem ersten Weltkrieg wurde beeinflußt von den Strömungen des Naturalismus und der Heimatkunst. Trakls Poesie des Verfalles ist auch heute noch spürbar. Die Dichter des „Brenner'-Kreises erschlossen im Banne von Karl Kraus und Georg Trakl den metaphysischen Bereich — freilich mit Einbuße vollblütiger Kraft. Viele dieser Autoren leben noch und schaffen rüstig weiter. Sie sind der jungen Generation Vorbild — aber in vielem schon Gegenstand der Ablehnung.

Auch der skurrile Surrealismus und der Existentialismus haben keine Anhänger von Bedeutung. Naturalismus, Expressionismus und Surrealismus (alle schon vor 1914 entstanden) sind bald überwundene Richtungen. Der Tiroler, der römischer Klarheit, aber auch germanischer Kraft verpflichtet ist, liebte seit je natürliche und doch eigenwillige Form. Auch die Entsinnbildlichung der abstrakten Kunst widerspricht dem Geiste unserer Zeit und unseres nach vitaler, renaissancehafter Lebensform sich sehnenden Volkes.

Nach dem zweiten Weltkrieg sind viele neue Namen am Tiroler Parnaß aufgetaucht. Was sich dem kritischen Betrachter zeigt, ist zum Teil gärende Jugend, zum beachtlichen Teil schon anerkennenswerte Reife. Wenn wir die Fülle des neuen Tiroler Schrifttums sichten und daraus Schlüsse ziehen, so müssen wir feststellen, daß es äußerst modern ist, Und zwar im Sinne Oscar Wildes modern, der die Theorie aufstellte, daß echte Kunst immer paradox zur Zeit des Dichters sei. Nach ihm ist die letzte Offenbarung der Kunst das Erfinden schöner Unwahrheiten, im Widerspruch zur Umwelt des Künstlers. Der Dichter gestaltet die Welt, wie sie sein könnte, nicht wie sie ist.

Wir verstehen nun, weshalb in unserer zerbrochenen, chaotischen, angsterfüllten und grauenhaften Welt der Dichter eine Welt des Maßes, der Harmonie, des Traumes, der Geschichte und der Zeitferne zu gestalten sucht. Wer verstehen ferner, warum er im Zeitalter der Technik, der lebentötenden Maschine, der Atombombe gerade die vitalen Kräfte des Menschen wecken will. Denn unsere Zeit ist zu bitter, als daß sich darin der feinnervige Dichter wohlfühlen und sie schildemswert finden könnte. Nur die Eintagsfliege der Literatur klebt am Zeitmilieu. Ein echter Dichter gestaltet nie seine Zeit, sondern geht ihr voraus.

Ist es nicht paradox, daß in den glücklichen und satten Zeiten vor dem ersten Weltkrieg die revolutionären und aufrüttelnden Bewegungen des Naturalismus und Expressionismus aufkamen? Daß aber nach der Niederlage im ersten Weltkrieg wiederum Heimatkunst, Neuklassizismus, Neuromantik und Symbolismus blühten?

Was aber sehen wir heule? Der Name steht noch aus. Ich mcTchte die Richtung der neuen Literatur fast als .Syneidismus“ (Zusammenschau) oder „harmonischen Vitalismus' bezeichnen. Jedenfalls steht die neue Richtung im Gegensatz zum Naturalismus, Existentialismus und zu allen Einseitigkeiten.

Unter den Lyrikern der jungen Generation nimmt Anna Maria Achenrainer einen hohen Rang ein, die Staatspreisträgerin des Jahres 1950. Ihr im Innverlag erschienener Lyrikband „Appassionata“ zeigt eine Dichterin voll Glut und Leidenschaft, bezähmt durch Maß und Kraft eines im Leid gereiften Herzens. Das griechische wie das modeine Versmaß beherrscht diese Dichterin Tirols gleichermaßen, und ihre Sprachgewalt ist eigenwillig und voll neuschöpferischem Urklang. „Impressionen nach einer altägyptischen Bronze“ (Katze) nennt sich ein Zyklus In der Jahresschrift „Wort im Gebirge“.

Von ähnlichem Urklang, feierlicher Getragenheit in den Hymnen, volksmäßiger Lied-haftigkeit in den Gedichten und Reinheit der Sprache sind die Gedichte Hans F a b e r s. Er ist Weiser und Sänger, Sprachschöpfer und bescheidener Mensch zugleich. Auch von ihm steht im „Wort im Gebirge“ eine gewaltige Hymne „An das Licht“. Der Dichter birgt noch eine Reihe von Liedzyklen, darunter wundor-volle Liebes- und Berggedichte, in seinem Schreibtisch, die einer Veröffentlichung wert wären.

In Frau Josefine U r i c h besitzt Tirol eine sehr originelle volkstümliche Lyrikerin, die ihr Bestes wohl in den urwüchsigen Dialektgedichten gab. Sie gilt als die prominenteste Vertreterin dieser Art, Aber auch ihre Erzählkunst aus der heimatlichen Sagen- und Geschichtswelt sei erwähnt.

Als Philosophen, Essayisten und Lyriker sind Wilhelm Lackinger und Dr. A. v. Morl bekannt. Wilhelm Lackinger, eine. markante Persönlichkeit im geistigen Tirol, schuf stimmungsvolle und formvollendete Natur- und Gedankengedidite, auch ein Singspiel. In seiner ruhigen, stoischen und abgeklärten Art beeinflußt er ebenfalls die philosophischen Diskussionen sehr stark. Besonders erwähnt sei sein „Buch von der Kunst“, worin er in acht Kapiteln die Grundfragen der Moderne erörtert,

Dr. Anton v. Morl ist der Verfasser des zu europäischer Bedeutung gelangten Buches „Die große Weltordnung“ (P.-Zsolnay-Verlag).

Kraftvoll treten uns in der jungen Generation die Dramatiker entgegen. Volkstümlich ist Hermann H o 1 z m a n n, besonders in seinem Festspiel „Der Bauer von Malsein“ und dem jüngst erschienenen Stück „Bergbauern*, worin er packend die Glaubens-losigkeit der jungen Heimkehrergeneration der alten Gläubigkeit der Daheimgebliebenen gegenüberstellt. Erst vollendet wurden die Stücke „In der Mitte das Volk“ und „Rosamunde“, die Tragödie einer Frau. So spannt er seinen Bogen von der Schwere des Bauerntums bis zur strengen Form der Klassik.

Bedeutend ist der geistreiche, feinsinnige und von Optimismus beseelte Dichter Karl Pfötscher mit seinen historischen Dramen „Michael Gaismaier“ und „Ein Licht wie von den Sternen“ (die vitale Dramatisierung der Liebesgeschichte des Minnesängers Oswald von Wolkenstein). Seine Sprache hat trotz ihrer Spannungen einen lyrischen, zarten Hauch. In Pfötscher lebt der Geist des historischen und modernen Tirol. In unserer Zeit der Geschichtsfeindschaft halten er und seine Freunde noch die Fahne der Tradition in die geschjchtslose Masse.

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