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Abrechnung mit dem Leben

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1901 geboren, feierte Andre Malraux in diesen Tagen seinen 75. Geburtstag: 75 Jahre einer bewegten Weltgeschichte, 75 Jahre eines Menschenschicksals, das seine Zeit mit seltener Intensität miterlebt hat und dessen vielseitiges Werk einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis dieses Jahrhunderts darstellt.

An Malraux kann und darf man nicht mit den gängigen Kriterien der Literaturkritik herangehen. Er ist zwar ein erfolgreicher Schriftsteller gewesen, sogar ein Wunderkind der Literatur, als er mit 32 Jahren für La Condition Humaine den begehrten Goncourt-Preis bekam. Aber schon damals wußte die französische Kritik nicht recht, was sie mit einer Erscheinung anfangen sollte, deren explosive Kraft jeder Klassifizierung trotzte. Was verbarg sich hinter diesem Menschen, der dem Epos der Revolution im Femen Osten zu literarischen Ehren verhalf: ein genialer Reporter im Stile Hemingways, ein Jünger Nietzsches auf der Suche nach dem Ubermenschen, ein entwurzelter Anarchist? Nur eines war sicher: er war kein Literat, kein braver Handwerker der Literatur. Hätte man darüber Zweifel gehabt, Malraux zögerte nicht, sie zu zerstreuen: man schrieb 1933, die Welt geriet aus den Fugen, und er wußte Besseres zu tun, als vor seinem Schreibtisch sitzen zu bleiben.

Denn er schreibt nichts, was nicht mit dem eigenen Erleben der Geschichte in Zusammenhang stünde. „Am Anfang aller seiner Bücher“, schreibt ein Kritiker, „steht eine Abrechnung mit dem Leben“. Aber nicht eine Abrechnung, wie es heute so oft der Fall ist, in Form des ideologischen Prozesses, sondern des Zu-packens, des Ringens mit dem Ereignis, des Mitverwickeltseins: nicht die bequeme Distanz des Intellektuellen, dessen Gesinnung um so lauterer ist, als er, wie Sartre sagt, seine Hände nicht beschmutzt. Malraux ist mit Fleisch und Blut dabei, er hat die Waffen in der Hand, er ist kein Beobachter, sondern ein Mit-Streiter. Seine ersten Werke Les Conquirants (Die Eroberer, 1928), La Voie Royale (Der Königsweg, 1930), La Condition Humaine und L'Espotr (Die Hoffnung, 1937) könnten die Gesamtüberschrift tragen, die Barres einmal einem seiner Büoher gab: Du sang, de la volupte et de la mort (über Blut, Wollust und Tod). Ist das Grund genug, um ihn des maßlosen Individualismus, ja des perversen Exhibitionismus zu bezichtigen? Malraux' Zeugnis mußte schockieren, sowohl rechts wie links: er kämpfte für eine neue Würde des Menschen, aber diese Würde war weder die der etablierten Ordnung noch die der kommunistischen Orthodoxie. Seine Helden, trotz der, Brüderlichkeit im Kampf, sind einsame Menschen, die im Engagement vor allem bestrebt sind, dem eigenen Leben eine Fülle und einen Zweck zu geben, und nur in zweiter Linie das Gesicht der Welt durch die Revolution zu verändern. Durch diese männliche Welt (Frauengestalten sind bei Malraux äußerst selten) geht die tragische Frage nach dem Sinn der „Condition humaine“ des Mensch-Sein, und eng damit verknüpft, nach dem Sinn des Todes.

Malraux ist Agnostiker und hat nie ein Hehl daraus gemacht. Aber der Tod Gottes läßt ihm keine Ruhe.Schon in den ersten Romanen wird immer wieder danach gefragt: Wo steht der Mensch zwischen Kontinuität und Diskontinuität, zwischen Augenblick und Ewigkeit, zwischen dem Sein und dem Nichts? Selbst die Abenteurer und Desperados, die Revolutionäre und Anarchisten, die das eigene Leben, wie das Leben der andern, anscheinend so unbesorgt aufs Spiel setzen, sind alles andere als Nihilisten. Sie wollen zwar, wie einer sagt, „auf der Erde eine Narbe hinterlassen“, aber auch eine Narbe ist eine nachaltige Spur, eine Verlängerung der Tat über den Augenblick hinaus. Dunkel suchen Malraux' Helden Auswege aus der Sinnlosigkeit, aus der Absurdität ihres Handelns. Sie sehnen sich nach einer Form der Eingliederung, des Anschlusses andie Gemeinschaft, an die Geschichte, die dem Tod seine Hoffnungslosigkeit nehmen würde. Der Wille, der rücksichtlose Machtwille des einzelnen schließt ihn in einer. Einsamkeit ein, von der er nur durch den Tod erlöst wird.

Der Gedanke an den Tod, die Meditation über den Tod, werden zum Zentralthema seiner Schriften, auch wenn er für lange Zeit von der Literatur Abschied zu nehmen scheint. Noch einmal greift er 1944 zu den Waffen, zuerst in der Resistance, dann als Colonel Berger, an der Spitze der Brigade Alsace-Lorraine, die an der Befreiung des Elsaß teilnimmt. Er wird politisch tätig, übernimmt einen Ministerposten in der ersten Regierung de Gaulle; nach dessen Rücktritt betätigt er sich als Generalsekretär der gaullistischen Sammelpartei R. P. F. In diesen Nachkriegsjahren aber wendet er sich vor allem der Kunstgeschichte zu, und veröffentlicht unter dem Titel La Psychologie de l'art eine Reihe von Bänden, die die gebildete Welt, Spezialisten wie Laien, aufhorchen lassen. Hat Malraux als Dichter abgedankt? Hat er den Halbgöttern seiner Jugend abgeschworen? Zieht er sich zurück in erhabene Sphären, in welche die tägliche Tragik nur verklärt hereingelassen wird? In Wirklichkeit tut Malraux nichts anderes, als seine Meditation über Vergänglichkeit und Permanenz fortzuführen. Auf die Frage, was von den Wirrungen der Menscheit übrig bliebe, antwortet er mit Zuversicht: eine Reihe von Kunstwerken, „d'images arrachees au neant“ (von Bildern, die dem Nichts entrissen werden), „un lan-gage immimorial de la conquete“ (eine zeitlose Sprache der Eroberung). Die Schlüsselwörter sind immer noch dieselben: auf der einen Seite die Sprache der Gewalt, des Willens (entreißen, erobern), aber auf der anderen der Glaube an eine Überwindung der Vergänglichkeit. Wenn es so wäre, hätte das menschliche Abenteuer doch schließlich einen Sinn, der sich in diesem heroischen Humanismus entziffern ließe.

Die Freunidschaft, die ihn mit de Gaulle verbindet, der er 1971 in Les chenes qu'on abat ein ergreifendes Denkmal setzen wird, ruft ihn wieder 1958 an die Seite des Generals, wo er als Kulturminister entscheidende Maßnahmen für die Erhaltung des künstlerischen Erbguts trifft. Vielbeachtete Reden sind aus dieser Zeit erhalten geblieben: die Rede auf den Tod von Le Corbusier, die Abschiedsworte an Jean Moulin, den Führer der französischen Resistance.

Der Tod des Generals 1970, eine Reihe von Trauerfällen in der eigenen Familie und im Freundeskreis, B'efürchtungen um die eigene Gesundheit, haben in letzter Zeit Malraux noch enger in die Nähe des Todes gebracht, Mit den Antimemoires (1967) will er mit sich selber, seinem Leben und seinem Schaffen abrechnen, eine Bilanz ziehen. Lazare (1974), sein letztes Buch, ist eine einzige Meditation über den Tod, über den eigenen Tod, über den Tod des anderen, vielleicht auch über die Möglichkeit eines Jenseits, einer Ridemption. Hier findet sich der bedeutsame Satz, in dem er auf sein Leben zurückblickt: Was mich in meinem Abenteuer fasziniert, das ist die Wanderung auf der Mauer zwischen dem Leben und den Abgründen, die den Tod ankündigen.

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