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Conditio humana

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Seit dem Erscheinen der „Condition humaine“, die mit dem Preis der Academie Goncourt ausgezeichnet wurde, gibt es den „Fall Mal-raux“ und nicht eist, seit der kommunistenfreundliche Generalsekretär des Kuomintang der Jahre 1925 bi6 1927 Anno 1946 Informa-tion6m:mster im Rechtskabinett de Gaulies geworden ist. Die Diskussion um den Dichter, der am 3. November seinen fünfzigsten Geburtstag begehen wird, währt nun schon seit 1934. I. Ehrenburg, R. Bespaloff, H. Tauber, Cl. Mauriac haben seinem Werk Studien und Aufsätze gewidmet. In Österreich hat sich Friedrich Hansen-Löve bereits zweimal mit Person und Werk Malraux' auseinandergesetzt („Wort und Wahrheit“, Jg. V/3, S. 200 ff., und Jg. VI/8, S. 610 ff.).

Die Bücher dieses 6praehenkundigen Dichters, Kunstpsychologen und ernsthaften Denkers, die nun seit U45 in der Genfer Gesamtausgabe erscheinen und deren wichtigste — „Der Kampf mit dem Engel“ (La lutte avec l'ange), „Die Zeit der Verachtung“ (Le temps du mepri6), „Die Eroberer* (Les conquerants), „Der Königsweg“ (La voie royale), „Die Lockung des Westens“ (La tentation de l'Oc-cident) sowie das Buch über den spanischen Bürgerkrieg, „Espoir“, an dem Malraux als Kampfflieger für die Kommunisten teilgenommen hat — die Abendländische Verlagsanstalt in deutscher Ubersetzung vorbereitet, werden erst seit dem Erscheinen der „Condition humaine“ richtig gelesen, soweit sie vor 1933 erschienen sind. Mit diesem preisgekrönten Werk, das auf dem Hintergrund der nationalchinesischen Revolution unter Tschiangkai-schek spielt und einige Tage des Jahres 1927 herausgreift, nämlich die Einnahme Schanghais und den Bruch des Generals mit den Kommunisten, wird, wie in allen Büchern Malraux' die Frage nach der „Conditio humana“ gestellt, nach der Grund'befmdlirhkeit des Menschen in einer Welt, der die Politik zum Schicksal geworden ist. Man könnte meinen, es handle sich auch in diesem Buch nur um eine romanhafte Reportage über den chinesischen Bürgerkrieg, so wie man die 1926 erschienenen „Eroberer“ als Reportage über den Aufstand in Hongkong mißverstehen konnte. Aber diese Romane, die bis an den Rand gefüllt sind mit abenteuerlichem Geschehen, mit rasender Tat, wollen weitaus mehr: sie gestalten das Aufbrechen elementarer Gewalten, und als höchsten menschlichen Wert preisen sie die brüderliche Gemeinschaft der revolutionären Kämpfer. Die Gemeinschaft dieser Revolutionäre will jedoch mehr, als nach den Marxschen Gesetzen die Welt ökonomisch-politisch verändern. D:ese Menschen träumen, offen oder verschwiegen, davon, „Gott zu sein“ und müssen am Ende wie Oberst Lawrence in Malraux' letztem noch nicht fertiggestellten Buch erkennen, daß sie „gar nichts“ sind. Dieses „Nichts“ zu bestehen, es auf sich zu nehmen, ist der Grundton der Tragödie des „Humanismus ohne Gott“, die Malraux mit dem Einsatz seines eigenen Lebens mitagiert und mitgeschrieben hat. Er gehört zu jenen Geistern, die den Nihilismus des 19 und 20. Jahrhunderts auf sich genommen haben, die durch seine Höllen hindurch-rrissen, um ihn zu überwinden, um „über die L nie“ (Jünger) zu gelangen auf der Suche nach einem neuen Ab6olutum. Mit Recht stellt ihn daher Harisen-Löve in eine Reihe mit Melville, Rimbaud, Psiohari, Lawrence, Jünger usw. Sie alle leiden unter der furchtbaren Dialektik, die seit den Tagen des Descartes im Abendland aufgebrochen ist: unter der Dialektik von Denken und Sein, Tat und Sein, Denken und Tat. Gerade die Figuren der „Condition humaine“, die um einen neuen Status des Menschen ringen, illustrieren besonders deutlich diesen tragischen Prozeß, dessen geheimes Motiv eine' metaphysische Unruhe ist. Sie wird so lange währen, bis es dem Menschen endlich gelungen ist, das „car-te6ianische Korsett“, die eigene und die kosmische Immanenz, die schon Pascal schaudernd erkannte, zu sprengen.

Wenn Malraux und seine Schicksalsgenossen auch noch nicht 60 weit sind, • ihrem heroischen Kampf dürfen wir unsere aufrichtige, ja unsere leidenschaftliche Anteilnahme nicht versagen!

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