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Die Ehre Mensch zu sein“

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„Der Ruhm ist die Sonne der Toten ...“ In unserer schnellebi-gen Zeit stimmt diese melancholische Bemerkung Balzacs nicht mehr. In einer Zeit, in der uns täglich marktschreierische Behauptungen wecken, um „das Meisterwerk des Jahrhunderts“ anzukündigen, ist es wohltuend, wenn einem wahrhaft Großen eine außerordentliche Huldigung zuteil wird. Aime Maeght, dessen Mittlerrolle in der zeitgenössischen Kunst nicht mehr wegzudenken ist, veranstaltete heuer in der nach ihm genannten Stiftung — Fondation Maeght in St.-Paul-de-Vence — eine Ausstellung zu Ehren Andr6 Malraux'.

Früher hätte man den Tod des Schriftstellers abgewartet, um ihm ein Denkmal zu errichten. Malraux hat uns schon belehrt, daß die Macht der Sprache jede Ehrung aus Marmor oder Bronze überflüssig macht — man schlage in den „Oraisons funebres“ nach, um zu lesen, was er über Jeanne d'Arc oder Jean Moulin gesagt hat. In St-Paul-de-Vence sprechen die Bücher und die Bilder zu uns. Tausende von jungen Leuten haben in diesem Sommer die überfüllten Strände des Mi-telmeers verlassen, um diese Stimme zu hören — um gleichsam eine neue Welt zu entdecken.

Es ist nicht einfach, die Bedeutung Malraux für unsere Zeit zu umreißen, seine starke Anziehungskraft zu erklären. Darf man wieder einmal das abgedroschene Wort „Humanismus“ anführen? Was ist eigentlich ein Humanist? Man erinnert sich an einen beschwörenden Satz in den „Stimmen der Stille“, den Malraux dem unbekannten Schöpfer der

Höhlenmalereien widmet:.....eine

der geheimnisvollen und höchsten Kräfte, die Kraft und die Ehre, Mensch zu sein.“

Mehr als 800 Exponate versuchen, einer faszinierenden Persönlichkeit gerecht zu werden. Das Unterfangen ist um so schwieriger, je mehr sich bei Malraux menschliche und ästhetische Beziehungen aneinanderfügen. Das wird deutlich bei der Fülle von Dokumenten — Briefe, Photos, Erstausgaben — die ein bewegtes Leben widerspiegeln. Dabei drängt sich unwillkürlich die Frage auf, ob Malraux ein Schriftsteller ist, der seine Ideen in die Tat umgesetzt hat, oder — wie manche behauptet haben — ein großer Abenteurer, der sich auch literarisch betätigt hat. Der oft gebrauchte Vergleich mit anderen „Helden“ unserer Zeit (E. von Salomon, T. E. Lawrence) scheint nicht zu stimmen. Im Gegensatz zum Abenteurer besitzt nämlich Malraux einen sicheren Kompaß — seinen Sinn

für das, was er selbst „menschliche Würde“ nennt. Was er über das antike Griechenland sagt, kommt einem Selbstbekenntnis gleich: „Ich habe die Wahrheit gesucht und fand die Gerechtigkeit und die Freiheit!“

Wir erleben Malraux als surrealistischen Dichter, als Revolutionär, als Widerstandskämpfer, als Freund de Gaulles. Er sucht Goebbels auf, um Dimitroff zu verteidigen; er bricht vor dem Kongreß der sowjetischen Schriftsteller (1935) eine Lanze für die geistige Freiheit. Nachdem er im spanischen Bürgerkrieg ein Geschwader befehligt hat, kämpft er in Frankreich. Der Autor der „Conditio Humana“, der „Hoffnung“ wird schließlich zum Kulturminister der V. Republik. Und das alles, ohne sich je in eine Rolle ganz einfangen zu lassen, ohne zum Denkmal seiner selbst zu werden.

Diese biographische Darstellung ist aber nur ein Teil dieser Ausstellung: wenn Malraux sein Leben erträumt hat, dann ist „das imaginäre Museum“ die Deutung dieses Traumes.

Man weiß, was der an der Schule von Elie Faure geformte Kulturhistoriker unter dieser Formel verstand: die Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Ausdrucksformen und Stilrichtungen, die das Streben der Menschheit nach dem ästhetischen Sichbehaupten kennzeichnen. Das erklärt auch das anscheinende Durcheinander von Epochen und Werken, die in den lichtüberfluteten Räumen der Stiftung Maeght vertreten waren. Ohne den Ariadnefaden der Schriften Malraux hätte diese Fülle sicher etwas Verwirrendes gehabt. Von den sumerischen Plastiken und afrikanischen oder präkolumbianischen Idolen bis zu den vollkommensten Schöpfungen abendländischer Kunst — ein gotischer Kopf etwa oder ein Bild von Tintoretto oder Chardin — fehlt kaum eine der „Stimmen der Stille“. Latour unweit von Kandisky, Füssli neben Chagall oder Braque — sicher haben sich Privatsammler und Museen wegen der Einmaligkeit des Vorhabens und des Vorwandes leichter dazu entschlossen, diese Werke für einige Monate nach Saint Paul zu bringen. Und schließlich vergißt man fast, daß man gekommen ist, um Malraux zu sehen. Vielleicht liegt der Schlüssel zu dieser Ausstellung in einem Satz der Antimemoires „Der Mensch, den man hier finden wird, ist derjenige, der sich den Fragen anpaßt, die der Tod an die Bedeutung der Welt stellt.“

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