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Politisches Theater

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Am Tage vor der Wiener Premiere seines Stückes „D ie schmutzigen Hände“ war Jean-Paul Sartre persönlich in Wien vor der Presse erschienen, um gegen die Aufführung zu protestieren. Dieses Drama war in den letzten Jahren über die Bühnen der ganzen westlichen Welt gegangen und hatte seinem Autor reiche Tantiemen eingebracht; er kann also ruhig auf eine Wiener Aufführung verzichten; aus idealischen Gründen — wenn man diesen seinen jüngsten Theatercoup, nämlich sein persönliches Auftreten hier, mit solchen in Verbindung bringen darf — meint aber heute Sartre, daß eine Aufführung dieses Stückes an einem so neuralgischen Punkt, an dem die Weltkonflikte Zusammenstößen wie in Wien, unpassend sei. Er empfahl sodann den Wienern, die Tschechoslowakei zu besuchen — in drei Stunden habe er hier die Einreise dorthin erhalten: vielleicht spielte ihm hier sein Unterbewußtsein und sein Gewissen einen Streich — Sartre weiß sehr genau, daß ein redlicher Vorkämpfer der Freiheit, Klaus Mann, hier in Wien ein letztes Mal auf dieser Erde Station machte, bevor er Selbstmord beging. Klaus Mann war kurz zuvor in Prag gewesen und war nun erschüttert über den „Selbstmord" seines Freundes Masaryk, des jungen Masaryk, der, wie er und wie viele andere europäische Intellektuelle, an die Freiheit und die Worte um die Freiheit, den Fortschritt und die Demokratie geglaubt hatte … Vielleicht spielte nun das Gewissen Jean-Paul Sartre einen Streich — unmöglich nämlich erscheint es uns, daß dieser Mann, der einst so klare Worte wider den Terror in aller Welt fand, sich innerlich restlos abfinden kann mit der Statistenrolle, die er heute auf der politischen Bühne übernommen hat, als Lautsprecher in einem „Friedenslager", das alle Andersdenkenden als Verräter und Verbrecher verdammt. Sartre würde, das kann nach der Premiere im Volkstheater, gesagt werden, der Besuch seines eigenen Stückes sicherlich gut tun; vielleicht erkennt er sich noch wieder in dem jungen „Helden", der hier „wie ein Hund erschossen wird" von seinen eigenen Parteifreunden, weil er, obwohl er jahrelang versucht hat, sich restlos innerlich ihnen zu unterwerfen und sogar einen Mord auf sich genommen hat, geblieben ist, was er war: ein „Intellektueller", ein schwacher Mensch mit einem unzerstörbaren Gewissen; ein Mensch, dem keine „Ideale" und keine Ideologien auf die Dauer den Sinn verwirren können. So daß er aus Kerker, Schande, Angst und Verblendung aufsteigt und sich, soeben aus dem Kerker entlassen, als „nicht mehr verwendungsfähig" erklärt. Wann wird Sartre sich als „nicht mehr verwendungsfähig" erklären und zu jener Rolle zurückfinden, die er seit 1944 auf sich nahm? Wir wissen es nicht. Bleibt dieses Stück, das in „Illyrien" 1941 bis 1943 spielt und das zwei Dinge zum Gegenstand hat: das Funktionieren einer terroristischen Parteimaschine, die, gesteuert von einigen Fanatikern, einmal diesen, einmal jenen Kurs befiehlt und ihm rücksichstlos das Leben ihrer besten Mitglieder opfert (eine Maschin.e kann nämlich keine „Mitglieder" haben, es muß diese zerreißen, schlachten oder zumindest so lange verstümmeln, bis sie „verwendungsfähig" sind für den „Apparat"). Gegenspieler dieser Maschine ist der Mensch: der Mensch, der dieser oder jener politischen Richtung angehören kann, wesentlich ist nur, daß er Mensch geblieben ist, und das heißt ein Liebhaber des Menschen mit alf seinen Schwächen. Der große Parteiführer „Köderet", die kleine „unpolitische" Frau seines Sekretärs, und dieser zuletzt selbst, stehen und fallen auf dieser Seite des Menschen (dessen Geheimnis nach Sartre darin zu sehen ist, daß er kein Selbsthasser ist und deshalb fähig ist, andere mit ihren Fehlern zu lieben, weil er sich selbst in ihnen erkennt und anerkennt).

Die unter der Regie Leon Epps mitreißend gestaltete Aufführung kann sich auf die prächtige Leistung von Hans Frank, Ernst Meister, Maria Emo stützen, wobei die kleineren Rollen ebenfalls zu nennen wären,' so sorgfältig sind sie besetzt und werden mit Hingabe gespielt. Starker Beifall.

Sie sind unsere Zeitgenossen geblieben, „D i e Helden von Albeville", wie sie jetzt heißen, die vor drei Jahren in Graz, als sie uns das erstemal vorgestellt, auch noch schlicht und recht „Zeitgenossen" genannt wurden. Alle die Rückversicherer und Mitläufer, die durch den jeweils letzten politischen Umsturz (die Komödie Raimund Bergers spielt um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Frankreich) so gerne Helden werden möchten und doch nicht das Zeug dazu haben. Die Aufführung im Kleinen Theater im Konzerthaus hat dank der Regie Friedrich Kallinas viel Atmosphäre. Die Komödie des hochbegabten und viel zu früh verstorbenen Raimund Berger, der ein echter Theatermann war, kann auch auf der kleinen Bühne ihre Welt entfalten und uns ihre kraftvoll gezeichneten Menschen präsentieren. Da ist der Schneidergehilfe Jules (Peter Ertelt), der als einziger unfreiwillig zum Helden avanciert. Dann ist da die Frau des Flickschneiders (Maria Groiß), die es so gerne zu Wohlstand und Ansehen bringen möchte, und der Aufschneider Leon (Hans Kammauf), den der erste Schuß unter den Tisch vertreibt. Unberührt von dem ganzen Wirbel, der sich in Albeville, einem kleinen Nest der Normandie, abspielt, bleibt nur Margareth (Helly Kreuzer), die Magd des Schneiders. Kleine Entgleisungen (wie etwa der übertrieben gestikulierende Jude, der „beim Barte des Propheten" schwört), die wohl eher der Regie als dem Autor anzukreiden wären, ändern nichts daran, daß wir hier ein lebendiges, gut gebautes Stück in einer sehenswerten Aufführung vor uns haben. —ied.

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