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Wieder entdeckt: Franz Schrekers Oper "Die Gezeichneten".

Von den Nazis verfemt, vom Nachkriegs-Musikbetrieb ignoriert, von der Avantgarde gering geschätzt: Franz Schreker, dessen Opern in seinen besten Zeiten ebenso oft aufgeführt wurden wie jene seines Zeitgenossen Richard Strauss, war lange "vom Vergessen wie von einem schweren Stein begraben", um mit den Worten Theodor W. Adornos zu sprechen. In den letzten Jahren ist eine veritable Schreker-Renaissance in Gang gekommen, die mit der Aufführung der Oper "Die Gezeichneten" bei den diesjährigen Salzburger Festspielen einen vorläufigen Höhepunkt findet - eine musikalisch außergewöhnliche, optisch ungemein ansprechende, szenisch vielleicht etwas zu verrätselte Produktion, die dazu angetan ist, endlich die verdiente Aufnahme des österreichischen Komponisten und seines Werkes ins gängige Opernrepertoire einzuleiten.

Es ist das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin, das Schrekers süffige Musik, ein klingendes Äquivalent zum Wiener Jugendstil, in der Salzburger Felsenreitschule zum Leben erweckt. Kent Nagano, der Schreker schon während seines Musikstudiums für sich entdeckte, entfacht in dem bestens eingestellten Klangkörper expressionistische Klangräusche, kitzelt dazwischen wunderschöne Melodien heraus, sogar ein Hauch von Puccini ist zu vernehmen.

Auch als Stück - wie alle seine Libretti hat Schreker auch dieses selbst verfasst - atmen "Die Gezeichneten" den Geist des Fin de siècle. Vordergründig geht es um den entstellten Adeligen Alviano, der sich auf einer Insel ein künstliches Paradies geschaffen hat. Während er selbst sein Elysium noch nie betreten hat, lebt dort heimlich eine skrupellose Clique auf verbrecherische Weise ihre kranke Sexualität aus. Als der Anführer der Unholde auch noch die Geliebte Alvianos verführt und diese zu Tode vögelt, geht Alvianos Welt in Brüche, er tötet den Lustmörder und verfällt dem Wahnsinn.

Dass sich Triebe letztlich nicht verdrängen, nicht durch schöngeistige Ersatzhandlungen sublimieren lassen, ist die tiefere Botschaft des 1918 uraufgeführten Werkes, das hier auf die damals noch junge Psychoanalyse Bezug nimmt. Das Ganze spielt sich bei den Festspielen folglich in einer surreal-düsteren Traumlandschaft ab, auf deren Grund die Trümmer einer riesigen zerborstenen Frauenstatue liegen (Bühne: Raimund Bauer). Und Regisseur Nikolaus Lehnhoff erzählt in ziemlich statischen Bildern weniger das Drama eines genialen Außenseiters als vom Ringen des Ich mit dem Es und dem unweigerlichen Scheitern des Triebverzichtes, der ja laut Sigmund Freud Grundbedingung der Zivilisation ist.

Überragend Anne Schwanewilms als die nach außen hin eiskalte, innerlich aber zwischen Sehnsucht nach Höherem und unbändigem Verlangen nach Lust zerrissene Carlotta, ebenso Michael Volle als von seiner sexuellen Potenz wie von seiner Omnipotenz überzeugter Graf Vitelozzo, der rücksichtslos seinen niederen Instinkten nachgeht. Exzellent auch Robert Brubaker als sensibler Kopfmensch Alviano, gezeichnet nicht durch einen Buckel, sondern durch seine Transgender-Persönlichkeit.

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