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„Ein Felix Krull aus der Gosse“, so kündigt die Bauchbinde den neuen Roman des englischen Autors an, dem schon einige Bestseller gelungen sind. Das ist ein wenig zu hoch gegriffen, denn von der Ironie Thomas Manns findet man hier wenig, und gar so tief ist die Gosse nicht, aus der Sillitoes Held kommt, es handelt sich vielmehr um ein mittleres Ganovenmilieu, das die Randschichten verschiedener Gesellschaftssphären berührt. Die abenteuerliche Lebensgeschichte des jungen Michael Cullen ist interessant und nicht unsympathisch erzählt, wenn auch zuin Frankfurt 1912 folgten mehrere deutsche Bühnen, die des Auslandes waren durch den Weltkrieg gesperrt. Danach begann eine Flut von Schre-ker-Premieren an den meisten europäischen Opernhäusern, einschließlich Leningrad. Für die folgenden sieben Opern brauchte Schreker jeweils drei bis vier Jahre. Ihre Titel sind: „Das Spielwerk und die Prinzessin“, „Die Gezeichneten“, „Der Schatzgräber“, „Irrelohe“, „Christopherus“, „Der singende Teufel“ und „Der Schmied von Gent“, letztere nach De Coster, 1932 vollendet und uraufgeführt, aber bald wieder vom Spielplan gestrichen.

Die Textbücher zu allen seinen Opern hat sich Schreker selbst geschrieben, wie vor ihm nur noch Richard Wagner. Diese „Libretti“, viel bewundert und viel gescholten, sind als literarische Schöpfungen durchaus eigenständig. In ihnen verbindet sich Naturalismus, Symbolismus, Märchenhaftes und sexualmoralische Utopie zu einer hochbrisanten, dramatisch ergiebigen Mischung. Besonders charakteristisch für Schreker, der sein ganzes Leben lang als Panerotiker, als „unmoralisch“ angegriffen wurde, ist der Konflikt seines männlichen Helden zwischen Sinnen und Geist, zwischen zügelloser Triebhaftigkeit und schöpferischer Disziplin. Die Frauen sind meist passive, geheimnisvolle, lüsterne oder schwermütige Wesen, pandämonische Naturen, die der Erlösung bedürfen. Ein zutiefst barocker Zug ist in allen Werken Schrekers unverkennbar: in der Übersteigerung der Gefühle, der Überhitzung der Atmosphäre, den superlativischen Kontrastwirkungen.

Den extremen Sujets und Charakteren entspricht Schrekers Musik: sie ist hochromantisch, expressiv, schwelgerisch und farbenprächtig. Seine Harmonik verbreitet ein tona-les Zwielicht, die Melodik ist von berückender Sinnlichkeit. Entwicklungsgeschichtlich steht Schreker zwischen Mahler und Berg. Als das Wichtigste aber erscheint uns seine geniale Synthese von deutschen, italienischen und französischen Elementen, letztere in der Prägung Puccinis, Debussys und Dukas. — weilen mit jenem Realismus, dem heute ein Bestseller nicht entraten zu können scheint. Sillitoes Erzählung ist gelegentlich mit witzigen und boshaften Apercus garniert, die echt englisch wirken, vielleicht aber aus der Brecht-Schule kommen (vor allem aus dem „Dreigroschenroman“). Ist man am Ende der fünfhundert Seiten angelangt, so glaubt man dem Autor, der einmal gesagt hat: „Ich schreibe für mich, zu meinem Vergnügen. Das ist meine Droge.“ Deshalb brauchen echte Schriftsteller meist keine anderen ...

Herbert Heller

EIN START INS LEBEN. Roman von Alan Slllitoe. Diogenes-Verlag. 500 Seiten, Preis DM 24.80.

Der Symbolismus seiner Dichtungen weist gleichfalls in den französischen Sprachraum: zu Maurice Maeterlinck. Das Schreker-Orchester mit Harfen und Glok-ken, Orgel und Klavieren, Saxophonen und singender Säge hat einen unverwechselbaren, faszinierenden Klang, und Schrekers Bühnendichtungen sind überaus charakteristische Zeugnisse ihrer Zeit, besonders des Jugendstils.

Trotzdem hat man Schrekers Werk nach 1945 so gut wie keine Chancen gegeben: einige konzertante Aufführungen da und dort, eine wenig geglückte Aufführung der Oper „Der ferne Klang“ 1964 in Kassel — das war bisher alles. Dieses Buch will das Werk Schrekers in Erinnerung rufen und zu seiner Rehabilitierung beitragen. Schrekers in Südamerika lebende Tochter hat sein Leben geschildert, der bekannte deutsche Musikkritiker Hans Heinz Stucken-schmidt schrieb das Kapitel „Schreker und seine Welt“ und der Berliner Musikologe Werner Oehlmann bespricht und analysiert ausführlich die einzelnen Werke. Vielleicht wird man sich in der Heimatstadt und im Vaterland Schrekers dieses frühverlorenen Sohnes erinnern und von hier aus eine Schreker-Renaissance einleiten ...

FRANZ SCHREKER. Von Haidy Schreker-Bures, Hans Heinz Stuk-kenschmidt und Werner Oehlmann. (österreichische Komponisten des XX. Jahrhunderts.) Verlag Elisabeth Lafite, österreichischer Bundesverlag, Wien, 96 Seiten, mit zahlreichen Bildern.

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