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Aus verdämmernder Zeit

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Die Experimente der Avantgarde sind passe, der Blick in den Rückspiegel europäischer Kunst ist Trumpf. Und jede Entdek-kungsreise in die überreiche Kulturlandschaft der Zwischenkriegszeit fördert neue Dokumente zutage, die der schillernden Kunstszene der zwanziger und dreißiger Jahre neue eigentümliche Farbwerte hinzufügt und mitunter sogar Sensationen beschert. Künstlerische Marksteine von einst, die zuerst der Feme der NS-Machthaber als entartete Kunst zum Opfer gefallen waren und dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, durch den zukunftsschwangeren Optimismus der Avantgarde der fünfziger Jahre ins Abseits gedrängt wurden, werden von unserer dem Experiment eher abgeneigten Zeit als Entdeckungen gefeiert.

Nach dem triumphalen Anton-Webern-Fest des Vorjahres veranstaltet-nach Hamburg, Frankfurt und Venedig — die Wiener Konzerthausgesellschaft Schre-ker-Zemlinsky-Tage. Schon die ersten Konzerte, von Publikum und Kritik zu Recht begeistert gewürdigt, zeigten an, daß dieser Blick zurück im richtigen Moment gewagt wird. Gustav Mahler, ohne dessen stimulierende Symphonik — im Formalen wie im Klanglichen - das Schaffen Schrekers und Zemlinskys nicht zu denken wäre, ist inzwischen zu einem Pfeiler unseres Konzertlebens geworden. Die kalkülf reudige Avantgarde der fünfziger Jahre ist durch ein neues expressives Denken mit Blick in die Vergangenheit, durch eine „neue Einfachheit" voll Melodik und Klangsinnlichkeit abgelöst worden. Viele junge Komponisten entdecken heute, daß sie Schreker und Zem-linsky, die dem Zwölfton-Apostel Schönberg nicht nachfolgten, in mancher Hinsicht näherstehen, als sie sich das hätten träumen lassen.

Man hat Franz Schreker 1878-1934) lange Zeit nur als Lehrer Ernst Kf eneks und Alexander von Zemlinsky als Lehrer Arnold Schönbergs zur Kenntnis genommen, ohne beider künstlerische Individualität zu erkennen.

Schreker, der Sohn eines Wiener Hofphotographen, der mit seiner Komposition „Der Geburtstag der Infantin" für die Wiener Kunstschau 1908 und als Leiter des Philharmonischen Chors hochgeschätzt war, wurde durch die Opern „Der ferne Klang" (1912), „Das Spielwerk und die Prinzessin" (1913), „Die Gezeichneten" (1918) und „Der Schatzgräber" (1920) so berühmt, daß er 1920 vom Wiener Konservatorium weg als Direktor an die Berliner Hochschule für Musik berufen wurde. Ab 1931, unter dem Druck der NS-Kulturpolitik, wurde er 1933 als Leiter der Komposi-tions-Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste suspendiert. Er starb ein Jahr später schwerkrank in Verbitterung.

Zemlinsky, wie Schreker ein Schüler Fuchs' am Wiener Konservatorium, war als Dirigent erfolgreich — zuerst am Wiener Carl-Theater, ab 1906 in der Volksoper, ab 1908, von Gustav Mahler berufen, an der Wiener Hofoper. 1909 wurde er 1. Kapellmeister des Hoftheaters in Weimar, 1911 Opernleiter am Deutschen Theater in Prag und Rektor der deutschen Musikakademie. 1927 bis 1932 wirkte er an der Berliner Kroll-Oper, um 1934 unter dem Druck des NS-Regimes über Wien in die USA zu übersiedeln.

Jetzt, da man erstmals etwa Zemlinskys symphonische Dichtung „Die Seejungfrau" (1902-1905) gehört hat, da man seiner „Lyrischen Symphonie" wiederbegegnete, da Schrekers Suite aus der Oscar-Wilde-Pantomime „Geburtstag der Infantin", Kammermusik der beiden und nur schwer beschreibbare, gefühlvolle Lieder voll symbolistischer Sprachmagie und Klangzauber aufgeführt wurden, versteht man auch die Faszination dieser Musik.

Die kompositorischen Qualitäten genügen höchsten Ansprüchen; die sinnlich schimmernde Klangwelt läßt staunen. Mag auch die Nabelschnur zwischen Gustav Mahlers „Lied von der Erde" und Zemlinskys „Lyrischer Symphonie" stets spürbar bleiben, mögen da Strauß'sche Akkorde aufsteigen, so ist diese Musik doch in keinem Moment kopiert, abgeschaut oder nachgemacht. Schrekers wie Zemlinskys musikalische Phantasie war unleugbar groß und reich, ihre Sprache eigenwillig. In beider Werke blühen Farben der Zeit wie Blumen des Bösen auf, da schwingen die Empfindungen einer verdämmernden Spätzeit, ja, die Gefühle einer Endzeit, die uns heute beklemmend nahegerückt scheint.

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