Tragisches Trauerspiel

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Lessings "Emilia Galotti" im Wiener Akademietheater.

Im nüchternen, reduzierten Interieur der späten 1950er Jahre erzählt Regisseurin Andrea Breth vorderhand von den Gegensätzen zwischen Aristokratie und Bürgertum, von der fragwürdigen Sehnsucht nach einer glamourösen, glitzernden Welt und von einer großen Liebe, die an genau jener Grenzüberschreitung tragisch scheitert.

Für den überzeugten Leibnizianer Lessing gibt es keinen Zufall, es sind die gesellschaftspolitischen Widersprüche, die seine Protagonisten deformieren, kein Schicksal, keine Kaprize. Mit psycholgischem Realismus seziert Andrea Breth das diffuse Innenleben dieser äußerlich scharf konturierten Gesellschaft und lässt es gekonnt über die strenge Bühne (Annette Murschetz) hereinbrechen.

Breth und ihre Kostümbildnerin Dagmar Niefind setzen optisch auf die Symbolik der Farben: Sven-Eric Bechtolf als exzentrischer Prinz Gonzaga erscheint im weißen Designeranzug, ein willkürlicher Herrscher, der daran gewöhnt ist, die Konsequenzen seiner Entscheidungen nicht selbst tragen müssen. Dafür steht sein Verbündeter Marinelli, braun gewandet, ein unauffälliger, getarnter Machtmensch, für den der Zweck alle Mittel heiligt - dargestellt von Roland Koch als offenem Zyniker. Nicholas Ofzcarek als dessen Adlatus macht aus seinem Angelo eine schräge Mafioso-Nummer. In dieser - ja auch realiter verdrängenden und heil inszenierten - Nachkriegswelt tritt Andrea Clausen wie Grace Kelly / Fürstin Gracia auf, der unberechenbaren Macht des Prinzen emotional ausgeliefert. Clausen präsentiert eine brüchige und zugleich sehr starke, über das eigene Geschlecht reflektierende Gräfin Orsina, die Breth am Ende ihres Auftritts Gift nehmen lässt - so bleibt für keine dieser Lessingschen Frauen Raum übrig, auch die Welt des Glamours hat nichts anderes als bittere Not zu bieten.

Als Gegenüber ist das Bürgertum in schlichtem Schwarz kostümiert: Elisabeth Orth als Claudia, die sich durch den sozialen Aufstieg der Tochter - Emilia soll den Grafen Appiani heiraten - die eigene Erhöhung erwartet und durch die Zuneigung des Prinzen die Erotik der Macht und die Attraktivität des Ruhms erfährt. Michael König als strenger, nur dem Ehrbegriff verpflichteter Odoardo knattert allzu eindimensional durch die schönen Räume der Andrea Breth, die in bewährter Manier mit feinem Blick die Seelen-Abgründe ihres Figurenpersonals betrachtet. Da hilft ihrer Emilia auch kein schlichtes pastellfarbenes Kleid mehr, wenn der Fürst ihre Sinne erweckt, kein wacker hochgestecktes Haar, wenn die verborgene Leidenschaft entflammt, da soll die Repräsentanz der Unschuld - eine Lilie -, von deren Gift sie sich Erlösung erwartet, sie vor dem letzten Schritt aus ihrer Tugendhaftigkeit bewahren.

Wenn Schuld das zerstörerischste aller Gefühle ist, wie die Literaturtheoretikerin Julia Kristeva meint, dann scheitert Emilia daran, unschuldig schuldig zu werden. Genau jene schmale Gratwanderung, jenen tragischen inneren Zwiespalt zeigt die Hauptdarstellerin Johanna Wokalek in ihrer großartigen Durchlässigkeit, wenn sie ihrem Vater offenbart, dass in der "Verführung die wahre Gewalt" liegt.

Breths "Emilia Galotti" ist eine psychologische Studie, in der sich die Standpunkte zugleich verhärten und erweichen, eine präzise, handwerklich sorgfältig gearbeitete Inszenierung der feinsten Klinge, am Premierenabend gewürdigt durch einen nicht enden wollenden Applaus.

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