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Hofmannsthals "Elektra" im Kasino des Burgtheaters.

Wie ein Zitat aus der griechischen Tragödie leitet Joachim Schlömer seine Inszenierung von Hugo von Hofmannsthals "Elektra" mit dem Auftritt der Familie als Chor ein. Das Figurenpersonal befindet sich am Tisch, Mittelpunkt des Hauses und Symbol der Verbundenheit, bis Elektra den Rhythmus aufbricht, sich aus der Gemeinschaft löst und die Tragödie eröffnet - musikalisch begleitet von Beth Gibbons, die die abendfüllende Frage "How can I forget" besingt.

Sogleich wird die Handlung in enormem Tempo vorangetrieben, setzt der Sog von Schlömers strenger Choreografie ein, indem er gekonnt und zielsicher das Versmaß aufbricht, den schwierigen Text verständlich macht und von der Archaik der Gefühle erzählt. Schlömer setzt hier Elemente des Tanztheaters klug ein, zu Beginn etablierte Bewegungsabläufe markieren Familienzusammen-gehörigkeit, von jedem Mitglied beherrscht und doch individuell gestaltet. Auch Birgit Hutters Kostüme als Andeutung einer Tracht sowie Bühne (Jens Kilian) erzählen nicht mehr vom Drama eines Volkes, der Frage nach gesellschaftlichen Hierarchien und Ordnungen, sondern konzentrieren sich auf den Kreis der Familie.

Inszenatorisch löst dies Schlömer, indem er Orest (im Metzgerschurz) Theater im Theater spielen lässt und somit die Illusion aufbricht. Edmund Telgenkämper als Orest gelingt diese schwierige Zäsur in den privaten Ton perfekt. Mit der Bitte an die Mutter Klytämnestra "Kannst du mir mal einen Todesblick machen" stellt er den Mord gleichsam zur Schau. Was am Theater nicht mehr gezeigt werden kann, wird ausgestellt.

Elektra (Sabine Haupt) repräsentiert eine erstarrte Heroine, die am Verlorenen festhält, von der fixen Idee der Rache besessen, vom Schmerz um den verlorenen Vater zerfressen. Ihr gegenüber steht Chrysothemis, deren Lebensgier in jedem ihrer tiefen Seufzer spürbar wird, personifiziertes und sinnliches Plädoyer für die Verwandlung der Geschichte in Zukunft.

Als aufgeklärter, von den Erkenntnissen der Psychoanalyse beeinflusster Dramatiker verweigert es Hofmannsthal, von der Rache der Götter zu erzählen, die Rache der Gegenwart ist die der uns einholenden Träume, tief in der Erinnerung und im Unbewussten vergraben. Wien an den Rand des Wahnsinns getrieben, den zeitgenössischen Diskurs um die Hysterie aufgreifend, zeigt Anne Bennent eine fein differenzierte Klytämnestra, eine Verzweifelte - endlich ihre mädchenhaften Attitüden ablegend und sich auf ihre klare Substanz konzentrierend, verlässt sie sich ganz auf die poetische Sprache Hofmannsthals, kostet das Versmaß aus, zerlegt Silben, bis sich daraus neue Inhalte ergeben.

Auch die Regie nutzt sämtliche Mittel, um der Dynamik der Dramaturgie Kraft zu verleihen, schafft große Bilder, entwickelt Metaphern, die buchstäblich Eindruck hinterlassen: Wenn Elektra und Chrysothemis vom bewusst als Gerücht übermittelten Tod des Bruders Orest erfahren, dann bleibt ihnen nichts anderes mehr, als sich gegen die unerträgliche Trauer in Bewegung zu setzen, dann rennen sie los, verfolgt von ihren an die Wände des Palastes durch Videoprojektionen geworfenen Schatten, die auch dann noch sichtbar bleiben, wenn die Schauspielerinnen längst die Position verändert haben - bedeutungsvolle Zeichen, schwer an Bedeutung tragend, durch das exakte Spiel der Protagonisten und Schlömers feines Gefühl für Raum und Rhythmus stimmig.

Am Ende schließt sich ein Kreis: Die Familie versammelt sich am Tisch, Mord und Rache finden nur mehr im Inneren statt, Erinnern und Vergessen sind aktive, eigenständig gestaltbare Vorgänge und das Gedächtnis ist kein fixer Zustand, sondern verwandelbar und metamorphisch. Denn "wer nicht vergessen, sich nicht wandeln kann, muss sterben."

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