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Die Gewinner des Autoritätsverfalles

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Es ist vorher von Autoritätsverfall die Rede gewesen. Dieser hat in Bonn neben einer Entmachtung des Parlaments auch zu einer Aushöhlung der Macht der Minister und zu einem Regime der Staatssekretäre geführt, das zu kennen zu einer nüchternen Analyse der gegenwärtigen Lage der Bundesrepublik gehört. Sehr vieles, was wo anders in Parlamentsdebatten oder Ausschüssen erörtert wird, geht in Bonn den lautlosen, unkontrollierbaren Weg des Verhandeins der Staatssekretäre. Sie sind die wahren Gewinner des Autoritätsverfalls von Regierung und Parlament. Wie stark dieses Regiment der Staatssekretäre ist, zeigen einige Vorfälle in dieser Legislaturperiode, die zum entscheidenden Durchbruch dieser Art von (im Sinne des Grundgesetzes) unverantwortlicher Nebenregierung führten. Vor einigen Wochen entschloß sich

die Bundesanwaltschaft, das Landesverratsverfahren gegen den Herausgeber und die Redakteure des „Spiegel“ einzustellen. Was in einer dramatischen Sitzung des Bundestages im November 1942 von Konrad Adenauer als ein Abgrund von Landesverrat bezeichnet wurde, erwies sich als ein Sumpf von Schwindeleien, an den heute in Bonn niemand mehr erinnert werden möchte. In der eingehenden Untersuchung durch die Bundesanwaltschaft zeigte sich, daß jene Handlungen, die nach einem berühmt gewordenen Wort von Bundesinnenminister Höcherl, etwas außerhalb der Legalität unternommen wurden, im wesentlichen ein Zusammenspiel der Staatssekretäre des Verteidigungsministeriums Hopf und des Justizministeriums Strauß war, von denen der eine seinen Chef zu Handlungen verführte, die ihm den Ministersessel kosteten, und der

andere seinen Minister gar nicht informierte. Beide Minister gingen, der eine, weil er sich in Handlungen verstrickt hatte, die ihm ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung und Amtsanmaßung eingetragen hatten, der andere, weil er sich das Vorgehen seines Staatssekretärs nicht bieten lassen wollte. Dabei ist es bis heute geblieben. Inzwischen ist auch das Verfahren gegen Strauß eingestellt, weil der Hauptzeuge, eben jener Staatssekretär Hopf, von seinem Recht Gebrauch machte, die Aussage zu verweigern, ein Recht, welches das deutsche Strafgesetz jenen einräumt, die sich mit einer solchen Aussage selbst schwer belasten müßten. Trotzdem ist kein Verfahren gegen Hopf eingeleitet worden. Seine Verdienste wurden vielmehr durch seine Ernennung zum Präsidenten des Bundesrechnungshofes belohnt. So weit ist sein Kollege vom Bundesentwicklungsministerium Viaion noch

nicht. Gegen ihn schwebt ein Verfahren wegen Meineids, das ihm seine Aussage eingetragen hat, er habe von den Judenvergasungen nichts gewußt, obwohl er 1942 bis 1944 als Leiter der Finanzabteilung beim Reichskommissariat für das Ostland mit der Verwaltung der jüdischen Ghettos in Lettland, Estland, Litauen und Weiß-ruthenien beauftragt war. Was selbst einem Minister in Bonn unweigerlich den Posten gekostet hätte, wird von einem allmächtigen und als Fachmann sicher unentbehrlichen Staatssekretär jedoch, wenn auch nicht stillschweigend, hingenommen.

Das Regiment der Staatssekretäre machte sich nun nicht nur bei der „Spiegel“-Affäre auf eine höchst bedenkliche Art bemerkbar. Das oben angeführte Festhalten an der Behauptung von der ständigen Bedrohung Deutschlands und ihr bestimmender Einfluß auf die Politik geht zum Teil ebenfalls von diesen Staatssekretären aus. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Ost-Kontaktbemühungen des Vizekanzlers und Ministers für Gesamtdeutsche Fragen, Mende, an seinen Staatssekretären scheitert.

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