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Der Staatssekretär

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„Der Staatssekretär ist dem Bundesminister unterstellt und an seine Weisungen gebunden” (Art. 78 Abs. 3 der Bundesverfassung).

„Da ein Staatssekretär kein Beamter, sondern ein von einer Partei in die Regierung entsandter politischer Funktionär ist, ist er auch dem Minister nicht unterstellt” (Arbeiterzeitung vom 20. Mai 1964).

In Österreich beruft man sich seit einigen Jahren erst dann auf die Verfassung, wenn es einer politischen Gruppe nützlich zu sein scheint. Auf diese Weise wird die Bundesverfassung in der politischen Praxis und selbst von seiten der Gesetzgeber als ein Gesetzwerk herabgewürdigt, das durch einfache und dazu noch private Abmachungen von Politikern jederzeit außer Wirksamkeit gesetzt werden kann. Insoweit geht in manchen Situationen „alles Recht” nicht vom Volk aus, sondern von Parteisekretariaten.

Die Verfassung sieht vor, daß die Staatssekretäre weisungsgebundene Funktionäre sind, die auch keineswegs von den Parteien berufen werden müßten. Auf keinen Fall ist der Staatssekretär nach dem Gesetz eine Art von Gegenminister, der den jeweiligen Minister an der Ausübung seines Amtes hindern soll, auch nicht, wenn dies seiner politischen Gruppe notwendig zu sein scheint. Ebensowenig findet die Ansicht, nach der der Staatssekretär ein Kontrollor des Ministers sei, im Gesetz eine Deckung. Wenn sich daher in einem Ministerium unseres Landes heute ein Staatssekretär als Co-Minister gibt und sich unter dem bemerkenswerten Beifall seiner Partei sogar bemüht, die Voraussetzungen für den Bestand jenes Amtes, dem er dienstlich zu- und untergeordnet ist, durch Reden liquidieren zu helfen, ist dies eine bedenkliche Verkennung und Lesart der Bundesverfassung, wenn nicht eine politische Groteske und Zeichen des expandierenden Austro-Anarchismus.

Sollte das Schule machen und sollten auch die änderen Staatssekretäre ihre Position in einem verfassungsfremden Sinn interpretieren, müßte es zur Bildung eines Schattenkabinettes der Staatssekretäre kommen, das spiegelgleich zum Vodergrundkabinett der Minister operiert. Es entstünde aber auch ein nach Fraktionen getrennt operierendes Gremium von Politkommissaren, welche die Arbeit der „kämpfenden Truppe”, der auch weiterhin alleinverantwortlichen Minister, kontrollieren, aber lediglich ihrer Partei verantwortlich sind. Und dies, obwohl sie eigentlich, wie das Gesetz es befiehlt, hinsichtlich der Gehorsamspflicht den Beamten vergleichbar sind. Praktisch wären dadurch die Staatssekretäre Parteibeamte, die vom Staat honoriert werden.

Erstens kam es anders…

Als der Gesetzgeber seinerzeit die Institution der Staatssekretäre vorgesehen hatte, dachten die ehrenwerten Demokraten der Ersten Republik kaum daran, daß es einmal einen Koalitionspakt geben werde, der dem unseligen Klassenkampf in unserem Land ein Ende bereiten könnte. Ebensowenig konnte man seinerzeit vermuten, daß das Arbeitsübereinkommen der Großparteien jemals ein solches Gewicht haben werde: in Grenzsituationen ist nämlich die Bundesverfassung faktisch außer Kraft!

Genausowenig ahnten die Politiker einer verwaltungsmäßig sehr geruhsamen Zeit, daß die Ausübung eines Ministeramtes je mit einer solchen Fülle von Arbeit verbunden sein werde, wie dies heute der Fall ist.

In den Demokratien anderer Länder ist man sich aber schon seit langer Zeit dessen bewußt, daß ein Minister eines „Gehilfen” bedürfe, eines Staatssekretärs oder — um den Rangunterschied sehr offenkundig zu machen — eines Unterstaatssekretärs. In keinem Land ist aber vorgesehen, daß die Staatssekretäre die Arbeit ihres Ministers kontrollieren und behindern dürfen. Das Arbeitsübereinkommen der beiden Großparteien sieht jedoch vor, daß der Staatssekretär die Amtsführung seines Ministers, dem er nach der Verfassung dienstlichen Gehorsam schuldet, bespitzeln darf, wodurch das Mißtrauen zum Grundsatz politischer Zusammenarbeit gemacht wird.

Der fiberlastete Minister

In einem besonderen von uns angedeuteten Fall hat nun ein Staatssekretär in einer Weise von ihm laut Arbeitsübereinkommen zustehenden Rechten Gebrauch gemacht, die eine Klärung fordert. Die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft hat eine solche Klärung in ihrem jüngsten Gutachten (Nr. 34) versucht.

Die Minister aller Demokratien sind heute in einer ungebührlichen Weise mit Verpflichtungen belastet, die vielfach mit der Führung ihres Amtes kaum etwas zu tun haben, zumindest nicht unmittelbar. Siebentagewoche und ein sechzehnstündiger Arbeitstag sind heute für einen Minister selbstverständlich. Wenn irgendwo der Anbau eines Amtsgebäudes vom Baumeister übergeben wird, muß der zuständige Ressortminister, feierlich angezogen, dabei sein. Keine Fernseh-Show von größerer Bedeutung, bei der nicht ein Minister wie vor dem Freissler- schen Volksgerichtshof verhört wird. Falls eine Miniaturversammlung in einem verkehrsfernen Dorf zuwenig Anziehungskraft auf die Wähler auszuüben scheint, holt man sich einen Minister. Wo ein Minister auftaucht, muß er Reden halten, grundsätzliche Erklärungen abgeben, die man bis auf den „Unterton” analysiert. Darüber hinaus muß der Minister andere Reden anhören, oft sehr lange Paradereden von Erstlingen, die sich dem Minister für eine Beförderung empfehlen. Zu allem kommen noch die unzähligen Empfänge, manchmal von Personen gegeben, die erst in den Abendstunden munter werden. Auch die „Arbeitsessen” dürfen nicht vergessen werden, ministerielle Engagements, über deren tatsächlichen „Genuß” sich der in seinem Denken nur von Neid bestimmte kleine Moritz völlig falsche Vorstellungen macht.

Jedenfalls wäre es eine Dissertation wert, zu untersuchen, welche Quote ihres Arbeitstages die Minister ihren eigentlichen Amtsgeschäften widmen körfnen und welche Folgen die von den Parteien selbst provozierte Ablenkung ihrer Minister von ihrer Amtstätigkeit für die politische Arbeit hat.

Der Minister in Österreich bedarf jedenfalls, wenn er sich nicht den unnützen Engagements entziehen kann, einer Entlastung: durch den Staatssekretär.

Aber: Könnten die Staatssekretäre die Minister nicht da entlasten, wo man nicht den Minister selbst, sondern nur einen Repräsentanten des Staates für eine Veranstaltung haben will?

Und wie wäre es, wenn die Staats sekretäre besonders heikle Sektionen eines Ministeriums in bedingter Eigenverantwortung betreuen würden, wie dies heute schon im Ministerium für Handel und Wiederaufbau geschieht? Selbstverständlich müßte dann der Staatssekretär ein Fachmann sein. Warum muß beispielsweise der Unterrichtsminister gleichzeitig immer Opernminister sein und sich von den honorierten Claquen- und Cliquenführern anflegeln lassen, wenn er nicht sofort bei Amtsantritt die jeweilige Frontsituation übersehen kann?

Könnte man nicht mit dem System der Generaldirektoren operieren wie etwa im Verkehrsministerium, wo Post und Bahn weitgehend autonom verwaltet werden?

Manche Minister üben ihren Beruf im Umherziehen aus und kleiden sich praktisch nur mehr in Fahrzeugen um. Das scheint nun einmal zum neuen Stil zu gehören. Wenn ein Ministerium bei allen möglichen Konferenzen vertreten sein muß — kann diese Vertretung zum Teil nicht auch ein Gehilfe des Ministers übernehmen?

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