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Weltgeschichte(n)

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Ein Ressortchef ist bekanntlich ein Ressortchef und Herr in seinem Revier, und wenn schon ein Bundeskanzler in ein Ministerium hineinregiert, dann doch wohl nur auf dem Umweg über Ohr (oder Tisch) des zuständigen Ministers, nicht wahr?

Weshalb es nur ganz und gar unmöglich sein kann, daß zum Beispiel ein österreichischer Regierungschef je auf die Idee käme, personelle Entscheidungen, die das Arbeitsgebiet eines österreichischen Ministers betreffen, ohne diesen oder gar über dessen Kopf hinweg zu treffen.

Da solches unmöglich ist, kann es auch nicht seint daß sich ein Minister gegen solches Vorgehen wehrt — anderenfall könnte es ja geschehen, daß der betreffende Politiker etwa unter Protest zurücktritt. Wie gesagt, es kann ganz und gar nicht sein, aber ausmalen dürfen wir uns derlei ja doch.

Also lassen wir des Kanzlers Telephon klingeln, ihn den Hörer abheben, lauschen und folgendes vernehmen: „Herr Kanzler, ich höre gerade, Minister...“

Aber welcher? In welchem Ressort lassen wir diese völlig frei erfundene Geschichte spielen? Der Einfachheit halber gleich im Außenministerium? Na schön, es kommt nicht drauf an, also bleiben wir dabei.

Der Kanzler lauscht also in den Hörer und vernimmt: ,Jlerr Bundeskanzler, ich höre soeben, daß in wenigen Minuten der Außenminister im Presseklub eine Erklärung abgeben wird!“

„Ja derf er denn das?“ lassen wir den Kanzler in enger Anlehnung an einen berühmten Ausspruch eines anderen, freilich weniger selbstbewußten österreichischen Monarchen angesichts einer anderen, nicht ganz so frechen Revolution sagen.

Unterdessen haben sich aber die innenpolitischen Reporter und Kolumnisten und Kommentatoren Österreichs schon in der Bankgasse versammelt, und der Außenminister — weil wir das Unmögliche ja an irgendeinem konkreten Beispiel demonstrieren müssen — ergreift das Wort: „Meine Herren, ich habe mich entschlossen, mein Amt zurückzulegen und möchte Ihnen die Gründe dafür bekanntgeben!“

Und schon legt er los: „Der Regierungschef hat Entscheidungen, die ich zu treffen hätte, über meinen Kopf hinweg getroffen. Er hat personelle Fragen geregelt, ohne mich auch war zu informieren. Unter solchen Umständen lehne ich es ab, mein Ressort weiter zu fuhren. Es ist eine Frage der Selbstachtung!“

Gesetzt, derlei würde in Österreich geschehen — was wären die Folgen? Sie wären wohl ziemlich schwerwiegend. Ein Glück, daß derlei nicht möglich ist. Aber in einer erfundenen Geschichte können wir den Minister ruhig auch gleich weiterreden lassen: „Auch außenpolitische Fragen von größter Bedeutung werden in diesem Land nicht nur über den Kopf des Außenministers hinweg entschieden, sondern sie werden, ohne mich auch nur vorher zu informieren, in aller Öffentlichkeit vom Kanzler behandelt.“

Stimmengewirr im Saal, hinausgerufene Fragen, aber der Außenminister ist noch nicht fertig, o nein. Er legt erst richtig los: „Meine Herren, in den letzten Monaten hat der Kanzler bei der Erörterung außen-poUtisclier Fragen einen Stil kreiert, der naive heute vielleicht fragen läßt, ob wir überhaupt einen Außenminister haben. Haben Sie etwas davon bemerkt? Ich selbst frage mich manchmal, ob das Außenministerium noch etwas anderes ist als ein Büro zur Betreuung unserer Botschaften und zur Abwicklung der Kurierpost. Für eine solche Rolle bin ich mir zu gut. Aus diesem Grunde trete ich zurück. Es wäre am besten, der Bundeskanzler würde die Agenden des Außenministers mit übernehmen. Ich sehe keine verfassungsrechtlichen Bedenken, die dagegen sprechen würden. Mit mir ist jedenfalls ab sofort nicht mehr zu rechnen.“

O ja, das wäre ein unheimlich starker Abgang für einen Mann, der, denkbar wäre es ja, vom Kanzler zum Minister gemacht und zugleich auf die Rolle einer inferioren Hilfskraft verwiesen wurde — wenn wir einen solchen Minister hätten.

Es ist schon ein riesiges Glück, daß es solche Minister in Österreich nicht gibt. Keinen Kanzler, der auch nur im entferntesten daran denkt, in ein Ressort, das er nun einmal in fremde Hände gelegt hat, für jedermann sichtbar hineinzuregieren. Keinen Minister, der sich derlei gefallen ließe. Es ist ein Glück, daß Standfestigkeit und Zivilcourage das hervorstechendste Merkmal unserer Minister sind. Atter. Ausnahmslos.

Denn dadurch kommt die außerordentliche Erfahrung und Begabung unseres Kanzlers auf so vielen Gebieten zwar den betreffenden Ressorts zugute — aber ohne Schaden für das Ansehen von deren Chefs.

Weshalb eine Geschichte wie die oben erzählte nicht nur ganz und gar frei erfunden und erlogen, sondern auch gänzlich unmöglich ist. Oder ist ein anderer Grund für die Unmöglichkeit dieser Geschichte auch nur denkbar?

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