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Das Geld der anderen

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Hans-Otto Wesemann, unter den Wirtschaftskommentatoren der deutschen Massenmedien angenehm erfrischend durch den Realismus seiner Analysen und damit, seit sich Claus Emmerich wieder dem Rundfunk seiner österreichischen Heimat zugewandt hat, ziemlich allein auf weiter Flur, eröffnete die vorläufig letzte seiner 14tägigen Betrachtungen mit den Worten: „Politik ist das Geld der anderen.“ Erläuternd fügte er hinzu: „Der Steuerzahler!“ Kurz vorher war in Bonn, wo Indiskretionen das tägliche Brot von 2000 um den Nachweis Ihrer Daseinsberechtigung bemühten, in- und ausländischen Korrespondenten sind, wieder einmal ein vertrauliches „Papier“ bekannt geworden. Auf besagtem Papier hatten vier parlamentarische Staatssekretäre, die in den Bundesministerien für Arbeit, Finanzen, Wirtschaft und Inneres, gemeinsam darüber nachgedacht hatten, erklärte, wie man das in der Bundesrepublik erwirtschaftete Vermögen zugunsten der dabei nur als Arbeitnehmer Beteiligten neu verteilen könnte. Kein Wunder, daß die Arbeitgeber, die Wesemann als für das Funktionieren der Wirtschaft unentbehrlich ansieht, die Ohren spitzten. Politik ist eben auch ihr Geld, und als Steuerzahler können sie sich erst recht sehen lassen. Über die Institution der parlamentarischen Staatssekretäre ließe sich manches sagen. Erfunden wurden sie, wie nahezu der ganze Parlamentarismus, im Vereinigten Königreich von Großbritannien und (damals noch ganz) Irland. Der Ressortminister sollte sich im Unterhaus von einem Staatssekretär vertreten lassen können, der selbst im Hause saß; das war besonders wichtig, solange noch häufig Kabinettsmitglieder ihren Sitz bei den Lords und nicht bei den Commoners hatten. Die Bundesrepublik Deutschland hatte allerdings niemals ein Ober- oder (wie die zentraleuropäischen Monarchien der Zeit vor 1918) ein Herrenhaus. Parlamentarische Anfragen wurden unbeanstandet auch von beamteten Staatssekretären ohne Parlamentssitz beantwortet, was übrigens heute noch geschieht. Als alber in der Großen Koalition von 1966 der nach langer Abstinenz in die Regierungsverantwortung einrückende Juniorpartner in die Lage kam, immer schon gehegte Personalwünsche geltend zu machen, da führte man die parlamentarischen Staatssekretäre ein. Und als sich die Große wieder zur Kleinen und in der weiteren Entwicklung zur Mini-Koalition mit ganzen sechs Stimmen Mehrheit mauserte, da blieb man der liebgewordenen Gewohnheit treu. In den Jahren, in denen aus dem Trümmerfeld des zweiten Weltkrieges die zweite .Wirtschafts- und dritte Industriemacht der Welt wurde — heute infolge Japans Aufstieg immer noch vierte —, kamen die Bundesminister mit einem beamteten Staatssekretär aus. Auch der Bundeskanzler begnügte sich damit, bis man dem Leiter des Bundespresse- und Informationsamts den voller klingenden Titel verlieh. Die wichtigsten Ministerien zogen bald nach. Heute haben freilich so gut wie alle Bonner Ministerien zwei beamtete Staatssekretäre und überhaupt alle einen parlamentarischen dazu. Wie auch in viel niedrigeren Rängen, gilt in den zweithöchsten Parkinsons Gesetz. Mit der Vertretung des Ressortchefs ist es nicht mehr getan, da er wegen der prekär gewordenen Mehrheitsverhältnisse ohnehin keine Bundestagssitzung versäumen darf. So mögen die vier parlamentarischen Staatssekretäre auf den Gedanken gekommen sein, sich mit dem Problem der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zu befassen, die ja allen drei Bundestagsparteien am Herzen liegt.

Ihr Konzept sieht so aus: Gewinne über 100.000 D-Mark sollen so besteuert werden, daß im Jahr vier Milliarden D-Mark zur Verfügung stehen, die iman den Arbeitnehmern zur Vermögensbildung übereignen kann. Natürlich machen die Arbeitgeber über ihr Industrieinstiut die Gegenrechnung auf. Danach belasten die Sozialkosten die Unternehmen bereits mit rund acht Milliarden D-Mark. 1971 werden es infolge der Verpflichtung der Arbeitgeber zu einem Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag für sämtliche Arbeitnehmer noch viel mehr sein. Damit erreichen die Lohnkosten einen Nachkriegsrekord. Nicht eingerechnet ist die Steigerung der Tariflöhne auf breitester Front, die gerade in diesen Tagen Wirklichkeit wird. Die „Vergesellschaftung“ der Produktionsmittel kann natürlich auf verschiedenen Wegen erreicht werden, und „innere Reformen“ hat die sozialliberale Koalition auf ihr Panier geschrieben. Immerhin hat der liberale Regierungsteilhaber die Wiedereinführung der staatlichen Wohnraumbewirtschaftung verhindert, so geschwächt er jetzt schon aus seiner innerparteilichen Krise hervorgegangen ist. Das hat den Wähler mehr beeindruckt als der Besuch des sowjetischen Außenministers in Hessen, das einige Tage später seinen Landtag wählte.

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