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FRITZ ERLER / VERFECHTER DES GODESBERGER PROGRAMMS

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Am 22. Februar starb in Pforzheim der Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und stellvertretende Vorsitzende der SPD, Fritz Erl er.

Vom Dreigestirn Brandt-Wehner-Erler, das der SPD den Weg über das Godesberger Programm und den relativen Wahlerfolg bei den Bundestagswahlen von 1961 zur Regierungsbeteiligung in einer Koalition mit der CDU/CSU bereitet hatte, stand Erler immer am wenigsten im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Sein kühles, professorales Auftreten war immer ein Minuspunkt. Erst nach dem Tod Ollenhauers erhielt er von seiner Partei mit dem Fraktionsvorsitz und dem Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden Funktionen, die seiner tatsächlichen Bedeutung für die SPD des Godesberger Weges entsprachen. Fast wäre er 1961, als Ollenhauer sich auf den Parteivorsitz beschränkt hatte, Kanzlerkandidat der SPD geworden; doch die Demoskopen fanden heraus, sein „Image“ würde durch das des siegessicher lächelnden Willy Brandt bei weitem überstrahlt. So wurde er „nur“ Außenminister im Schattenkabinett Brandts. Und als die SPD im Dezember des Vorjahres die Früchte des Kurses Brandt-Wehner-Erler erntete, als es selbstverständlich gewesen wäre, daß Erler ein einflußreiches Ministerium übernimmt, da war er von seinem tödlichen Leiden bereits gezeichnet, so daß er für einen Eintritt in dir. Regierung Kiesinger nicht mehr in Frage kam.

Erler war ein Berliner Arbeiterkind, 1913 in der damaligen Reichshauptstadt geboren und dort auch groß geworden. Als Realschüler war er in verschiedenen sozialistischen Organisationen tätig: in Arbeitersportvereinen, in der Sozialistischen Arbeiterjugend, als Vorsitzender der Sozialistischen Schülergemeinschaften. 1932 maturierte er und wurde Beamter der Berliner Stadtverwaltung. Als ein sozialdemokratischer Beamter unter der nationalsozialistischen Regierung alle Chancen verlor, trat er in ein chemisches Werk als leitender Angestellter ein. Gleichzeitig wurde er Organisationsleiter der Reichsleitung von „Neu-Beginnen“, einer gegen die Nationalsozialisten gerichteten Geheimorganisation, deren Kampfschriften sich durch ein hohes Niveau auszeichneten. 1938 ging die Gruppe „hoch“, und gemeinsam mit anderen Widerstandskämpfern, darunter der ehemalige Anstaltspfarrer der Strafanstalt Tegel, wurde Erler zu zehn Jahre Zuchthaus verurteilt. In der Untersuchungshaft der Gestapo war er mit einem gewissen Kurt Schumacher längere Zeit in einer Gemeinschaftszelle gesessen.

Moorkultivierung im Emsland, Straßenbau in Hessen — das war der Alltag des Strafgefangenen, ein Alltag, der ihn zum Skelett abmagern ließ und an den Rand des Todes brachte. Im April 1945 konnte er einem Gefangenentransport entspringen. Das Ziel des Transportes wäre Dachau gewesen ...

Südwestdeutschland war die Gegend, in der Erler hängenblieb und sich für den Aufbau eines neuen, demokratischen, besseren Deutschland zur Verfügung stellte; zunächst der französischen Besatzung, dann dem damaligen „Präsidenten des Direktoriums des Staatssekretärs von Südwürttemberg-Hohenzollern“. Dieser hieß Carlo Schmid, der mit Erler in enger Freundschaft verbunden war. 1949 zog Erler nach Bonn in den Bundestag und machte bald von sich reden: als einer der Hauptvertreter der „Reformisten“, bie ihre Partei von der revolutionären Phraseologie wegführen und aus ihr eine linke Volkspartei machen wollten, und die auch eine Verständigung mit der katholischen Kirche anstrebten. Das Jahr 1957 brachte der SPD eine schwere Wahlniederlage, den „Reformisten“ um Erler und Wehner aber die Möglichkeit, die unter Ollenhauer angeschlagene Partei umzuformen. Die Umformung begann 1958, mit dem bereits zum Schlagwort, zur Legende gewordenen Godiesber-ger Programm.

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