Wider das babylonische WIRRWARR

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Dient Bildsprache Flüchtlingen als erste orientierungshilfe - oder ist sie der kommunikation eher hinderlich und sorgt gar für Missverständnisse?

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Dient Bildsprache Flüchtlingen als erste orientierungshilfe - oder ist sie der kommunikation eher hinderlich und sorgt gar für Missverständnisse?

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Auf der großen Hauptstiege herrscht ein Stimmen-Wirrwarr, verschiedene Sprachen und Dialekte sind zu hören. Kinderstimmen tönen aus den ehemaligen Büroräumen, die zur Spielecke umfunktioniert wurden. Im Flüchtlingsquartier in der Vorderen Zollamtsstraße im dritten Wiener Bezirk fällt aber etwas anderes besonders ins Auge: Bildsprachliche Zeichen auf neongrünem Hintergrund heben sich deutlich vom fahlen Weiß der Wände ab. Quasi über Nacht sind hier im Sommer rund achthundert Flüchtlinge eingezogen, aktuell sind es knapp 1000. Es passierte alles Schlag auf Schlag, Kommunikation musste von Beginn an vor allem eines sein: schnell und effizient.

Übersetzt auf nonverbal

Eine Gruppe von Industrie-Designerinnen wurde hellhörig und schaute sich vor Ort um, noch bevor die ersten Flüchtlinge eingezogen waren. "Wir haben uns überlegt, was wir zur besseren Verständigung beitragen können", erklärt Katharina Hölzl vom Design-Büro Bauer. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Anne Hofmann und Dasha Zaichanka entwickelte sie ein System aus sogenannten "Icons", mithilfe derer sich die Bewohner im Gebäude leichter zurechtfinden sollen. Ganz ohne Sprache sollen die verschiedenen Icons klären, wie man etwa eine Toilette oder Dusche richtig benutzt oder welche Wohnbereiche für welchen Verwendungszweck vorgesehen sind.

Insgesamt 35 Zeichen entwickelte das Design-Trio. Über das Erste Hilfe-Zeichen wurde lange diskutiert. "Im arabischen Raum steht dafür der Halbmond, wir wollten es mit dem westlichen Kreuz verbinden", erklärt Hölzl, die sich als nonverbale Übersetzerin versteht. Zunächst lautete der Plan, den Halbmond vor das Kreuz zu setzen - aus Respekt gegenüber den Neuankömmlingen. Dann wurde den Designerinnen aber klar, dass Arabisch Sprechende ja von rechts nach links lesen. Das nunmehrige Resultat: Ein Halbmond und ein ihm (von links aus) vorgestelltes Kreuz bilden eine Symbiose. Was das interkulturelle Verständnis betrifft, gab die gebürtige Syrerin und Grafik-Designerin Luna Al-Mousli dem Design-Team viel Feedback und wertvolle Anregungen.

Auf den Schildern für Damentoiletten beispielsweise kann nicht sicher festgestellt werden, ob die dargestellte Frau ein Kopftuch oder einfach langes Haar trägt - was auch Absicht ist. "Wir entwarfen weibliche Personen zunächst mit Kopftuch und langem Kleid", erzählt Hölzl. Dann besuchte das Trio die Flüchtlingsherberge in der Vorderen Zollamtsstraße nochmals und erkannte, dass manche Frauen in der Unterkunft ganz anders aussahen. Also modifizierten sie das Zeichen. Nun trägt die abgebildete Frau eine Kombination aus Hose und Kleid. So sollen sich möglichst alle Frauen mit dem Bild identifizieren können.

Rettungsanker Sprache

Neben Motiven des alltäglichen Lebens entwickelte das Team auch Zeichen, die Flüchtlingen ohne Deutsch-und Englischkenntnissen den Arztbesuch erleichtern und eine bessere Kommunikation mit dem Arzt ermöglichen sollen. Dafür tauschen sich die Designerinnen mit Ärzten, NGOs und Freiwilligen aus.

Es gibt aber nicht nur positive Resonanz auf das Projekt. Als problematisch erachtet Inci Dirim von der Universität Wien vor allem die medizinischen Icons. "Die Flüchtlinge haben dadurch nicht einmal die Chance, ihre Sprachen einzusetzen", kritisiert die Professorin am Department für Deutsch als Fremd-und Zweitsprache. Bilder seien zu mehrdeutig, um mit ihnen verbale Kommunikation zu ersetzen. Icons, die auf Toiletten oder Duschen hinweisen, seien akzeptabel. Alles, was aber mit bestimmten Handlungen oder medizinischen Gebrechen zu tun hat, sei zu komplex, um es abzubilden. "Am besten helfen Dolmetscher bei der Verständigung. Wenn das nicht möglich ist, ist es immer noch besser, sich mit Gestik abzuhelfen", meint Dirim. Zeichen könnten Quellen von enormen Missverständnissen sein.

"Um solche Missverständnisse zu bereinigen, lassen wir uns ständig von Helfenden vor Ort Feedback geben", verteidigt Büroleiter Erwin Bauer sein Projekt. Außerdem sei das System kein Ersatzinstrument für Kommunikation, sondern schaffe erste Abhilfe. Vor allem in der Anfangsphase wäre es nicht möglich gewesen, auf jeden der knapp tausend Neuankömmlinge einzeln einzugehen, betont Alexander Tröbinger, Pressesprecher des Wiener Roten Kreuzes. "Zu Beginn waren sehr wohl einige Dolmetscher zur Verfügung. Angesichts der vielen Flüchtlinge hatten wir aber einfach nicht die Zeit, allen das Gebäude zu zeigen. Dafür waren die Icons sehr hilfreich", so Tröbinger.

Von den Flüchtlingen werde die Idee jedenfalls dankbar angenommen. "Als wir das Frauen-Icon mit Kopftuch auf eine Toilettentür klebten, ist ein älterer Mann zu uns gekommen und hat betont, wie froh er darüber ist, dass wir seine Religion respektieren."

Aus dem Design-Büro Bauer heißt es, dass das System von Icons sogar mehr Zeit für Kommunikation schaffe. Man wisse zum Beispiel in einem medizinischen Gespräch schneller, was das Gegenüber meint, und könne dann verbal auf die Details eingehen.

Vor einer Entpersonalisierung durch Zeichen warnt hingegen Dirim: "Wenn ich Schmerzen hätte, würde ich wollen, dass mich jemand beruhigt. Außerdem würde ich mit Gestik deuten, wo genau ich Schmerzen habe." In solchen Krisensituationen sei Sprache unser Rettungsanker. Auch wenn man die Sprache des Gegenübers nicht spricht, könne man zum Beispiel durch die Stimmlage die Bedeutung erkennen. Dirim ist überzeugt, dass sich Neuankömmlinge nur mittels Sprache(n) integrieren können. "Sprache und Gestik sind komplexe Systeme, die sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt haben. Das kann man nicht so leicht verbildlichen."

Die Mischung macht's

Doch nicht immer können Dolmetscher ein adäquates Hilfsangebot schaffen. Man stelle sich vor, einer muslimischen Frau mit einem gynäkologischen Problem stehen nur männliche Dolmetscher zur Verfügung. "Hier sollten es die Gesundheits-Icons der Betroffenen erleichtern, sich selbstständig in einem ungewohnten Umfeld zurechtzufinden", meint Bauer. Darüber hinaus müssten Ärztin und Patientin im Anschluss ausführlich über das Problem sprechen.

Ob nun wegen der Icons die Menschlichkeit auf der Strecke und weniger Zeit für Gespräche bleibt, darüber lässt sich streiten. Die Flüchtlingshelfer des Roten Kreuzes sehen im Quartier in der Vorderen Zollamtstraße jedenfalls eine Zukunft für die Icons. Bald werden die Flüchtlinge in kleinere Wohneinheiten ziehen und dann sicher selbst kochen wollen, meint Tröbinger: "Wir werden dann neue Dinge klären müssen, etwa, wie man ein Ceranfeld benutzt. Da werden die Icons sicher wieder hilfreich sein. "

Der Download der Icons des "First Aid Kits" ist unter folgendem Link gratis möglich: http://buerobauer.com/first-aid-download/

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