Für Gerechtigkeit und Wahrheit

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Trotz der Friedensverträge von 1996 herrscht in Guatemala kein Friede: Der guatemaltekische Bischof Alvaro Ramazzini setzt sich vor allem für die Landlosen und Kleinbauern ein, denen immer noch das Land vorenthalten wird. Auch von Morddrohungen lässt sich der Bischof nicht beeindrucken.

Die Furche: Vor wenigen Tagen kam aus Guatemala die Meldung, dass 3.000 Bauern, die Land besetzt hatten, von der Polizei vertrieben wurden.

Bischof Alvaro Leonel Ramazzini Imeri: Das ist ein ziemlich typisches Beispiel für die derzeitige Lage. Zur Zeit haben Bauernorganisationen die Ländereien von 52 Fincas besetzt. Diese Besetzungen sind kein Zufall, sondern eine Folge der Armut. Und weil die staatliche Autorität dieses Problem nicht wirklich löst und keine Position dazu bezieht, kommt es dazu. Diese besetzten Fincas sind Militärland oder brachliegendes Land des Staates. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, herauszustreichen, dass die Armut vor allem der ländlichen Bevölkerung immer noch auf verantwortliche Lösungen wartet.

Die Furche: Ist das eine Folge des Bürgerkrieges, der von Mitte der siebziger Jahre bis 1996 wütete?

Ramazzini: Die Landbesetzungen sind kein Resultat des Krieges, sondern es handelt sich um ein strukturelles Problem: Der Großgrundbesitz ist in der Hand weniger, die Masse der Bauern hat keinen Zugang zum Land. Das war ein Grund für den Krieg, nicht seine Folge. Der gewaltsame Konflikt entzündete sich daran, diese Situation zu verbessern, doch das ist nicht erreicht worden; die Probleme rühren eigentlich schon aus der Kolonialzeit.

Die Furche: In Guatemala sind die Indígenas, die Indios, die größte Bevölkerungsgruppe: Wie sind diese von diesen Problemen betroffen?

Ramazzini: Die Indígenas waren eigentlich schon immer ausgeschlossen und marginalisiert. Auch das ergibt sich auch aus der Geschichte: Sie haben sehr wenig Zugang zum Land, das vor der Ankunft der Spanier zwar der Maya-Bevölkerung gehört hat. Doch durch das spanische Wirtschaftssystem ist ihnen das Land weggenommen worden. Heute sind vor allem zwei Gruppen vom sozialen Netz ausgeschlossen: die Indígenas und die Kleinbauern, die Campesinos. Dort ist die Armut am größten.

Die Furche: Indígenas und Campesinos sind nicht dasselbe?

Ramazzini: Diese Gruppen vermischen sich, weil viele Indígenas auch Campesinos sind, aber viele Campesinos sehen sich nicht als Indígenas, weil sie Mestizen sind.

Die Furche: Was ist die Aufgabe der Kirche und von Ihnen als Bischof in dieser Situation?

Ramazzini: Ich nenne dazu fünf Punkte: erstens die Ungerechtigkeit anzuklagen und darüber nicht zu schweigen. Ein zweiter Punkt ist, die Indígenas und die Campesinos zu begleiten und ihnen zu helfen, sich zu organisieren. Wir versuchen auch darauf zu schauen, dass ihnen eine Grundausbildung ermöglicht wird, und wir vermitteln Rechtsbeistand, wenn es auf den Fincas zu rechtlichen Problemen kommt. Als drittes bieten wir uns als Verhandler zwischen der Regierung und der Landbevölkerung an. Viertens versuchen wir, Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft zu erhalten, sei es in Programmen wie in unserer Kooperation mit der österreichischen Entwicklungsorganisation "Horizont 3000". Der fünfte Punkt ist der Aufbau einer Landpastoral, die auf nationaler Ebene auch Alternativen zur Verbesserung der Lebensbedingungen anbietet. In der gegenwärtigen Kaffeekrise, in der viele Campesinos arbeitslos wurden, versuchen wir schließlich, auch durch Nahrungsmittelhilfe das Ärgste zu lindern.

Die Furche: Inwieweit ist der Glaube für Ihr Handeln bestimmend?

Ramazzini: Ohne Glauben hätte es für mich keinen Sinn. Ich versuche im Einklang mit dem Evangelium zu leben. Daraus folgt ganz klar, mich für Arme und an den Rand Gedrängte einzusetzen. Ich verweise auf das Lukas-Evangelium, wo Jesus sagt, er sei gesandt, den Armen die frohe Botschaft zu bringen. Das ist für mein Leben ausschlaggebend.

Die Furche: Im Sommer war Guatemala durch den Papstbesuch einen Moment lang im Blick der Weltöffentlichkeit. Hat das zur Verbesserung der Lage beigetragen?

Ramazzini: Der Papstbesuch hat die guatemaltekische Kirche und die Menschen, die daran teilgenommen haben, gestärkt, doch er hat an der Lage im Land kaum etwas verändert. Der Tag des Besuchs des Papstes war eher ein Ruhetag für die Menschen - und ein Tag der Freude!

Die Furche: Wenn es zu Konflikten kommt: Vermitteln Sie da nur, oder stellen Sie sich auch auf die Seite der Landlosen?

Ramazzini: Ich beziehe sehr wohl Position, ich trete immer klar für Gerechtigkeit und Wahrheit ein. Auch die guatemaltekische Bischofskonferenz setzt sich für die Armen ein.

Die Furche: Das ist aber gefährlich, es wurde schon einmal Ihr Leben bedroht.

Ramazzini: Das ist Folge meines Engagements. Wie gesagt: Ich glaube an Gott und daher wird das geschehen, was Gott will. Ich denke daher nicht so viel darüber nach, was alles passieren könnte, sondern konzentriere mich auf meine Arbeit.

Die Furche: Haben Globalisierung und neoliberale Wirtschaftsdoktrin mit den Problemen Guatemalas zu tun?

Ramazzini: Die Globalisierung und der Neoliberalismus haben sich extrem negativ auf Guatemala ausgewirkt. Die Armut ist gestiegen: Vor sechs Jahren war sie bei 60 Prozent, heute liegt sie bei achtzig! Vor allem die Mittelschicht ist in diesen Jahren beinahe verschwunden.

Die Furche: Vor sechs Jahren wurden in Guatemala Friedensverträge unterzeichnet: Wie steht es um den Frieden?

Ramazzini: Weder die vorige noch die seit 2000 amtierende Regierung von Präsident Alfonso Antonio Portillo Cabrera hat glaubhaft gemacht, dass sie die unterzeichneten Friedensverträge ernsthaft einhalten will. Der Ball liegt nach wie vor bei der Regierung.

Die Furche: Was kann man da von außerhalb Guatemalas tun?

Ramazzini: Nach der Unterzeichnung der Friedensverträge 1996 ist das internationale Interesse an der Lage in Guatemala erlahmt. Aber die Menschen in Guatemala brauchen Unterstützung - etwa in Form von wirtschaftlichen Kooperationen.

Die Furche: Meinen Sie etwa den "TransFair"-Kaffee aus Guatemala, den es auch in Österreich zu kaufen gibt?

Ramazzini: Wenn bei Ihnen der Konsum dieses Kaffees steigt, hilft das den kleinen und mittleren Betriebe, ökonomisch zu überleben. Auch mit "Horizont 3000" führen wir diesbezüglich Projekte durch.

Die Furche: In Wien findet zur Zeit eine Guatemala-Ausstellung statt, die sich mit der Geschichte der Indígenas beschäftigt. Wäre es nicht gut, da auch etwas über die Gegenwart zu erfahren?

Ramazzini: Es wäre meiner Meinung nach besser gewesen, eine Ausstellung zu konzipieren, die sowohl die Vergangenheit als auch die gegenwärtige Realität umfasst, um eine bessere Kenntnis von Guatemala zu übermitteln - und nicht bloß touristisches oder folkloristisches Interesse zu bedienen. Auch wirtschaftliche und soziale Probleme sollten angesprochen werden.

Die Furche: Auch in Österreich wurde der Prozess gegen die Mörder des guatemaltekischen Bischofs und Menschenrechtskämpfers Juan Gerardi, der 1998 ermordet wurde, verfolgt. Drei Militärs und ein Priester wurden deswegen verurteilt. Doch diese Urteile sind vor einem Monat wieder aufgehoben worden ...

Ramazzini: Das zeigt den Versuch der Behörden, keine Verantwortung zu übernehmen. Die Argumente der Berufungsrichter, den Prozess zu stoppen, sind sehr dünn. Wir wissen nicht, was jetzt weiter passieren wird. Strategie dahinter ist, die Wahrheit über diesen Morde nicht aufdecken zu wollen.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Furchtlos für Kleinbauern und Landlose

Seit 1989 ist Alvaro Leonel Ramazzini Imeri (55) Bischof von San Marcos im Südwesten Guatemalas. Er setzt sich als Begleiter der Landpastoral in Guatemala für eine umfassende Reform des Kaffee-Anbaus im westlichen Hochland Guatemalas ein. Wegen der derzeitigen Kaffeepreis-Krise wurden laut einer Statistik der Landpastoral von San Marcos 100.000 Arbeiter und Arbeiterinnen von den Kaffeeplantagen vertrieben, zusätzlich wurden 84.000 Hilfskräfte für die Ernte nicht mehr beschäftigt. Sechs Jahre nach den Friedensverträgen, die den Bürgerkrieg im Land beenden sollten, sind deren wesentliche Teile wie eine umfassende Landreform immer noch nicht umgesetzt.

Der so genannte "Ramazzini-Plan" , den der Bischof im Mai der Regierung vorstellte, sieht vor, dass der großflächige, vor allem exportorientierte Kaffeeanbau in kleine Produktionseinheiten aufgeteilt wird, in denen vor allem Lebensmittel für den Eigenbedarf produziert und nur Überschüsse verkauft werden. Dieser Plan soll eine Existenzgrundlage für Landlose und Kleinbauern ermöglichen.

Das Engagement von Bischof Ramazzini hatte mehrere Morddrohungen zur Folge, auch die Büros seiner Diözese wurden von Unbekannten verwüstet. Hinweis: In Wien findet zur Zeit eine Guatemala-Ausstellung statt. Eine Kritik dazu ist auf Seite 18 dieser Furche zu finden. 6 7 8 9 10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 20 1 2 3 4 5 6 7 8 9 30 1 2 3 4

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